Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.09.2000   13:05   +Feedback

Und nun weiter im Pogrom…

Am Montag wurde im Jüdischen Museum Berlin, das zur Zeit für zehn Millionen Mark umgebaut wird, das Buch von Thomas Lackmann “Jewrassic Park” vorgestellt. Lackmann, Kulturredakteur beim Tagesspiegel, verfolgt die Kabalen und Querelen um den Bau des Museums von Anfang an, das heißt seit den späten 8oer Jahren, und hat die Strecke jetzt komplett dokumentiert und mit subtiler Ironie kommentiert: “Wie baut man (k)ein Jüdisches Museum in Berlin”.

Ein Glück für Lackmann, daß an dem Museum immer noch gebaut wird, während sein Buch bereits fertig ist, andersrum wäre es noch ärger. So fand die Vorstellung des Buches passenderweise im Museum statt, in Anwesenheit des Hausherrn, Michael Blumenthal, und des Senators für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Christoph Stölzl, denn in Berlin wird inzwischen jedes neue Buch von einem Minister, einem Staatssekretär oder wenigstens einem Senator vorgestellt. Ansonsten war alles, wie es immer ist. Blumenthal hielt die Einführung, lobte das Buch in verhaltenen Worten und stellte einige kleine Fehler richtig: er sei weder mit Diepgen noch mit Radunski per Du und er wäre auch nicht, wie ihm Lackmann unterstellen würde, in der Lage, auf mehreren Telefonen zur selben Zeit zu sprechen. Ansonsten habe er aus dem Buch viel gelernt und viel Neues erfahren. Daraufhin bedankte sich der Verleger, Axel Rütters, beim Hausherren für dessen Souveränität, ein so kritisches Buch am Ort der Kritik vorzustellen, das sei mehr als eine Geste. Dann sprach Stölzl, eloquent und universell wie immer, wobei er eine wichtige Bemerkung machte. Wenn das Museum nicht wie vorgesehen fertig würde, dann würde es eben nicht fertig, man müsse das Ganze gelassen sehen…

Bei soviel Harmonie und Eintracht wurde es mir langsam fad, da hörte ich wie Blumenthal, der mitten in der Vorstellung den Raum verließ, um sich wichtigeren Aufgaben zu widmen, im Hinausgehen sagte: “The book is ridiculous”, das Buch ist lächerlich. Toll, dachte ich, das hätte er vor ein paar Minuten sagen sollen, dann hätt’s vielleicht einen kleinen Krawall gegeben. Aber dann wurde mir klar, daß Blumenthal so was nicht sagen konnte. Denn er ist im Begriff, ein neues Kapitel der deutsch-jüdischen Symbiose zu schreiben, und da ging es immer darum, einander das zu sagen, was der andere hören wollte, nicht das, was jeder wirklich dachte - mit wenigen Ausnahmen wie Gerschom Scholem, Jakob Wassermann und Kurt Tucholsky. Darum geht es auch heute. Die Juden wissen, daß das Museum megalomanischer Schrott ist, einzig dazu geeignet, die wunden Seelen einiger Nichtjuden zu heilen, möchten aber den Deutschen, die das Ganze finanzieren, den Spaß nicht verderben. Die Deutschen ihrerseits tun so, als würden sie das Museum für die Juden bauen, und erwarten von den Juden im Gegenzug Dankbarkeit, daß sie also mit dem Querulieren aufhören und endlich Ruhe geben. Nur - sie sagen es einander nicht. So wie Blumenthal Lackmanns Buch, das er für lächerlich hält, im Museum vorstellt, und so wie Lackmann, der das Museum für einen Flop hält, sein Buch dennoch von Blumenthal vorstellen läßt. Man macht sich gegenseitig Komplimente und denkt sich: “Und nun weiter im Pogrom…”

Am Rande gab es eine kleine Szene, die mir noch besser gefallen hat. Ein junger Mann ging auf mich zu und stellte sich vor: “Ich bin ein Gedenkarbeiter.” Die Akustik im Raum war so grauenhaft wie die Luft, ich fragte nach, was er wäre. “Gedenkarbeiter”. Ich hatte mich also nicht verhört. Bis jetzt kannte ich die “Gedenkdomina” (Lea Rosh), “Trauerarbeit” und “Trauerarbeiter” (Margarete Mitscherlich und Walter Jens), aber “Gedenkarbeiter” war mir neu. Der junge Mann war Österreicher und leistete seinen “Zivildienst” in der Bibliothek des jüdischen Museums. Das heißt, statt in der österreichischen Armee an der frischen Luft zu dienen und dafür zu sorgen, daß Triest wieder unter k.u.k.-Verwaltung kommt, saß er den ganzen Tag in den schlecht belüfteten Räumen der Bibliothek und arbeitete sich am Gedenken ab. Ich traute mich nicht, ihn zu fragen, was er machen würde. Mußte er von morgens bis abends Elie Wiesel lesen oder, noch schlimmer, Giora Feidman hören? Und was machte er in seiner Freizeit? Saß er im Beth Café in der Tucholskystraße und würgte das Essen runter, das dort als jüdische Delikatessen serviert wird? Ein Bissen für Hitler, einer für Kaltenbrunner, einer für Schuschnigg, einer für Seysz-Inquart? Das kann man doch einem jungen Menschen nicht antun, nicht einmal dann, wenn sich sein Opa freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hätte.

Irgendwas läuft schief mit dem Jüdischen Museum, noch bevor es eröffnet wurde. Gedenkarbeiter leisten Zivildienst und Autoren stellen ihre Werke vor. Dafür legt der Steuerzahler in diesem Jahr 18 Millionen Mark auf den Tisch des Hauses. Aber dafür ist der wenigstens echt. Anfang August wurde unter großem PR-Trara eine Ladung Möbel im Jüdischen Museum präsentiert, die eine jüdische Familie 1938 aus Rheinland-Pfalz 1938 in die USA mitgenommen hatte und die nun, 62 Jahre später, nach Deutschland heimgeholt wurden. Es sind Stücke, die man bei jedem Trödler in Neukölln für einen Bruchteil des Preises kaufen könnte, die der Transport gekostet hat, Schränke und Kommoden, die sich in nichts von den Kommoden und Schränken unterscheiden, die in den 3oer Jahren von Nichtjuden benutzt wurden. Der erkenntnistheoretische Gewinn der Möbelschau liegt darin, daß man nun belegen kann, daß auch Juden Möbel hatten bzw. Juden auch Möbel hatten. Seit ich das weiß, schaue ich mir meine Billy-Regale mit ganz anderen Augen an.

19.9.2000

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