Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

31.10.2000   12:06   +Feedback

Einer für alle: Paul Spiegel

broder, 25.1o.2ooo

herrn paul spiegel präsident des zentralrates der juden in deutschland

lieber herr spiegel,

vorgestern hörte ich in der tagesschau, bei der geplanten großen demo gegen rechts am 9. november, die am brandenburger tor stattfinden soll - falls die npd nicht noch schnell ihrerseits eine demo anmeldet, die das lg verbieten und das olg genehmigen wird - würden bundespräsident rau und der präsident des zentralrates der juden sprechen. eben las ich im tagesspiegel, die berliner cdu habe nach langem zögern widerwillig beschlossen, sich am 9.11. an dieser demo zu beteiligen. ich bin ein wenig irritiert. der kampf gegen die rechte gefahr in der bundesrepublik scheint vor allem eine jüdische aufgabe zu sein. zuerst gründet der sprecher der bundesregierung zusammen mit vertretern des zentralrates eine bürgerinitiative, deren motto (“gesicht zeigen!”) sich an den titelsong von “big brother” anlehnt (“zeig mir dein gesicht!”), als nächstes werden sie zusammen mit dem bundespräsidenten die massen zum widerstand gegen den rechten mob aufrufen. lieber herr spiegel, finden sie das nicht ein wenig albern, anmassend und kontraproduktiv?

während die bundesregierung und die länder sich nicht einmal auf ein verbot der npd einigen können und statt dessen bürgerinitiativen gründen oder unterstützen, melden sich die juden mal wieder freiwillig an die front…. das war schon 1914 so, und das wäre auch 1939 so gewesen, wenn die nazis nicht so blöde antisemiten gewesen wären.

haben sie sich schon mal überlegt, welches signal sie geben, wenn sie mit herrn rau am 9. november auftreten, sie als vertreter der juden und nicht ein vertreter der gewerkschaften, der kirchen oder des adac? haben sie sich schon mal überlegt, warum sie ständig gefragt werden, ob die juden auf gepackten koffern sitzen, während herr heye noch nie gefragt wurde, ob die regierung daran denkt, ins exil zu gehen? man erwartet von den juden, stellvertretend angst zu haben und stellvertretend besonders engagiert zu sein. sie, herr spiegel, tun alles, um diese beiden erwartungshaltungen zugleich zu erfüllen. derweil läßt der “aufstand der anständigen” auf sich warten.

ich finde es auch sehr unüberlegt, daß sie einen beitrag für das neue deutschland schreiben, den dieses drecksblatt auf der titelseite veröffentlicht. gewiß, wenn frau knobloch, statt zum friseur zu gehen, der “jungen freiheit” ein interview gibt, dann ist ein auftritt im nd nur ein halber skandal. soll ich ihnen trotzdem ein paar artikel aus dem nd kopieren und zufaxen? und darf ich ihnen ein buch empfehlen, in dem sie nachlesen können, wie es weiter geht? es heißt “mein weg als deutscher und jude” und ist schon 1923 erschienen, geschrieben von jakob wassermann.

viel spaß bei der lektüre und ziehen sie sich am 9. november warm an.

schalom allerseits

31.10.2000

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