Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.11.2000   12:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Nach dem Gang Bang der Guten

Der Schmock der Woche ist ein CDU-MdB aus Fulda, alias Schweinchen Oberschlau

Je länger das Dritte Reich zurück liegt, umso mehr nimmt der Widerstand gegen die Nazis zu. Er erreicht seinen alljährlichen Höhepunkt am 9. November, wenn es darum geht, eine Neuauflage der “Kristallnacht” zu verhindern. Dieses Jahr wurden gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erwischt. Ein Pogrom fand nicht statt, statt dessen kam es zu einem “Aufstand der Anständigen”, von denen einige es sich freilich nicht verkneifen konnten, Hakenkreuzfahnen mitzuführen, auf denen das beliebte NS-Symbol mit einem Halteverbotzeichen verfremdet wurde, was so viel wie “Hier haben Nazis nichts verloren!” bedeuten sollte, tatsächlich aber nur zeigte, dass auch die Antifaschisten gerne die Symbole ihrer Gegner benutzen. Es war die erste Massen-Demo der Berliner Republik, zu der in volksfrontartiger Eintracht die Regierung, die Opposition und die staatstragenden Parteien aufgerufen hatten. Über 2oo.ooo Teilnehmer auf der Straße demonstrierten gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus, auf der Bühne standen die Repräsentanten des Staates und demonstrierten gegen sich selbst, unter ihnen auch der bayerische Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, der vor kurzem erst vor den Gefahren einer “durchrassten Gesellschaft” gewarnt hatte und nun fröhlich gegen diejenigen antrat, die sich seine Warnung zu Herzen genommen hatten - im festen Vertrauen auf das kurze Gedächtnis der Spaßgesellschaft, die sich im Zusammenhang mit Jenny Elvers allenfalls noch an Heiner Lauterbach erinnern kann, aber nicht daran, was ein amtierender Ministerpräsident mal gesagt hat. Und weil bei diesem Gang Bang alle mitmachen wollten und keiner etwas gegen einen anderen sagen wollte, wurde zum Festredner einer bestimmt, der quasi von außen, aber doch mit einem Fuß in der Tür den richtigen Ton finden sollte: betroffen aber nicht böse, engagiert aber nicht exaltiert, hart aber harmlos: Paul Spiegel, Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland. Denn seit den Tagen des Jud’ Süß Oppenheimer finden es deutsche Politiker sehr praktisch, Juden mit heiklen Aufgaben zu betrauen. Geht es gut, können sie sagen: “Wir haben es möglich gemacht”, geht es schief, können sie sagen: “Der Jud’ ist es gewesen!”

Es spricht gegen Paul Spiegel, dass er den Job angenommen, aber es spricht für ihn, dass er sich dem Auftrag verweigert hat. Seine Rede war mehr als anständig, statt sich bei den Polit-Fuzzis anzubiedern, hat er ihnen die Leviten gelesen. Angela Merkel schaute drein, als hätte ihr Helmut Kohl auf dem Damen-Klo eine Prise Koks angeboten, ein paar ihrer Parteifreunde erwischte es noch ärger, vor Schreck ließen sie die Hosen fallen. “Herr Spiegel hat polarisiert und das war nicht der Zeck der Veranstaltung”, erklärte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller, dem Michel Friedman als “Kulturberater” dient.

“Jeder, der so überspitzt formuliert, muss sich fragen, ob er damit nicht seinen eigenen, berechtigten Anliegen eher schadet als nutzt”, warnte der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Michael Glos, und meinte damit nicht etwa Friedrich Merz und dessen Geschwätz von der “deutschen Leitkultur”, sondern Spiegel und dessen Frage: “Ist es etwa deutsche Leitkultur, Fremde zu jagen, Synagogen anzuzünden, Obdachlose zu töten?”

Einer, der Spiegels rhetorische Frage richtig verstanden hatte, raste gleich vollständig aus, der CDU-Abgeordnete Martin Hohmann aus Fulda, ein praktizierender Hinterbänkler, der plötzlich seine Chance sah, ins Rampenlicht der Geschichte zu treten. Er gab eigenhändig eine persönliche Erklärung ab (“Spiegels schlimme Entgleisung”), in der er vorführte, was man in Fulda unter Dialektik versteht. Spiegels an die CDU gerichtete Unterstellung sei genauso falsch, wie es falsch wäre, Spiegel zu unterstellen, “er sei mitverantwortlich, dass beim letzten Racheakt der israelischen Armee zwei unschuldige Frauen getötet wurden oder dass ein 12-Jähriger von israelischen Soldaten erschossen wurde”; zugleich stellte Schweinchen Oberschlau die Frage in den Raum, ob Spiegel “das Klima zwischen den Juden und Nicht-Juden in Deutschland nicht nachhaltig schädige”, was natürlich auch keine richtige Frage, sondern eine Feststellung in abgemilderter Form war. Nun wäre es sicher falsch, dem Abgeordneten Hohmann aus Fulda zu unterstellen, er habe den IQ einer leeren Bierdose oder sei ein Antisemit, dem es nur an Mut fehle, im Indikativ Klartext zu reden; denn Hohmann, der seiner Heimatgemeinde 36 119 Neuhof 14 Jahre als Bürgermeister diente, bevor er 1998 in den Bundestag gewählt wurde, artikuliert nur, was andere vor sich hin denken. Kaum sind die Nicht-Juden bereit, den Juden den Holocaust zu verzeihen, zeigen die Juden, dass sie nichts aus der Geschichte gelernt haben, indem sie unschuldige Palästinenser massakrieren und das Klima zwischen den Juden und Nicht-Juden in Deutschland verderben.

Was lernt uns das? Vom Hofjuden der Anständigen zum Saujuden der Antisemiten ist es nur ein kleiner Schritt. Vom Bürgermeister in der hessischen Provinz zum Schmock in der Hauptstadt ebenso.

15.11.2000

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