Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

31.12.2000   12:05   +Feedback

Relaunch im Fernsehen

Alte Gesichter und neue Formate

Es gibt kaum Gründe, sich auf das kommende Jahr zu freuen. Das Benzin wird noch teurer werden, nach den Rindern und den Schafen werden auch Hühner, Puter und Kaninchen auf BSE getestet werden müssen, die Telekom wird ihre Aktien als Gratispostkarten anbieten. Nur das Fernsehen wird noch schöner werden, noch fetziger, noch sensationeller. Nachdem im vergangenen Jahre einige neue Formate erfolgreich ausprobiert wurden, arbeitet man in allen Sendern am Ausbau dieser Formate. Wobei alle Programm-Macher auf bekannte Gesichter setzen, die sie in einem neuen Kontext präsentieren wollen.

Bei der ARD wird überlegt, Sabine Christiansen eine tägliche Show zu geben. Sie soll “Ich und ich” heißen und von Sabine Christiansens Talenten handeln. “Sie ist vielseitig wie keine zweite Moderatorin”, sagt ein maßgeblicher Programmverantwortlicher beim Ersten und verweist darauf, dass Frau Christiansen außer ihrer eigenen Talk-Show im letzten Jahr u.a. auch die Bambi-Gala, die Kundgebung zum 9. November am Brandenburger Tor und den ARD-Jahresrückblick “Das war 2ooo” moderiert hat. “Sie kann einfach alles.” Beim ZDF weiß man nicht recht, wie man auf diese Herausforderung reagieren soll. Diskutiert werden zwei Optionen. “Leute heute” mit Nina Ruge könnte von derzeit 15 aus 3o Minuten ausgebaut und täglich im Anschluss an das “heute-journal” aus der Berliner Szene-Bar “Kumpelnest” gesendet werden. Oder “Berlin Mitte” wird aus dem ZDF-Studio in das “Käfer” auf das Dach des Reichstags verlegt, wo Maybritt Illner all die Gäste finden könnte, die sie in ihrer Show noch nicht gehabt hat.

Die Privaten denken natürlich weniger konventionell und haben weniger Hemmungen, Grenzen zu überschreiten. RTL und SAT.1 verhandeln derzeit mit Jenny Elvers über eine Live-Übertragung der Geburt ihres Sohnes, wobei auch über eine Kooperation nachgedacht wird. Die ersten Wehen könnten bei Bärbel Schäfer (14 Uhr) gezeigt werden, die Geburt zeitgleich bei “blitz” (19 Uhr) und “explosiv” (19.1o Uhr), das erste Interview mit der erschöpfen aber überglücklichen Mutter um 22.1o Uhr bei “Extra”. Pro 7, das sich ebenfalls um die Rechte bemüht, aber nicht genug geboten hat, will Alex, den schmierigen Kneipier aus Bonn, verpflichten, in “taff” (17 Uhr) am Tag nach der Geburt den Rummel um Mutter und Kind aus der Sicht des unbeteiligten Kindsvaters zu kommentieren. RTL und RTL 2 wollen die Big-Brother-Idee weiter diversifizieren. Am Vormittag soll “Little Sister” laufen: 1o Kinder im Vorschulalter verbringen gemeinsam 3o Tage in einem Spiel-Container, als Betreuer sind Michael Schanze und Mareike Amado im Gespräch, mögliche Proteste des Kinderschutzbundes sollen mit einer Tombola zugunsten missbrauchter Kinder ausgeräumt werden. Ziemlich sicher scheint, dass Gerti, die Frau von Big-Brother-Harry, eine eigene Show bekommt, in der sie andere prominente Frauen darüber befragt, wie sie mit ihren Männern klarkommen. Für die erste Sendung will man Hera Lind, Iris Berben und Cornelia Scheel einladen. Auch bei SAT.1 hat man inzwischen gemerkt, dass es Zuschauer jenseits der 5o gibt, die mit dem Leben noch nicht abgeschlossen haben. Hier ist ein “Senioren-Club” (Arbeitstitel) im Gespräch, den Rolf Eden moderieren soll, der letztes Jahr schnell “noch ein Kind zeugen” wollte, aber “die passende Frau dazu” nicht fand. Solche Themen sollen mit leichter Hand und lustigen Studiogästen besprochen werden. Für die Auftaktsendung hat sich Eden als Partnerin die Pro-7-Wetterfee Else Buschheuer (“Ruf!Mich!An!”) gewünscht, während der Sender lieber Inge Meysel oder Brigitta Mira holen möchte, um die angepeilte Zielgruppe nicht gleich am Anfang zu erschrecken. Als Kompromißkandidatin und Fachfrau für Sex im reifen Alter hat Hannelore Elsner gute Chancen.

2oo1 wird ein tolles Fernsehjahr werden. Sogar das Literarische Quartett im ZDF soll überholt und verjüngt werden. Sobald Marcel Reich-Ranicki die Führung der Runde aufgibt, wird Günter Jauch die Aufgabe übernehmen. Beim ZDF verspricht man sich von der personalen Verknüpfung mit “stern tv”, “Wer wird Millionär?”, “Champions League” und “Süddeutscher Klassenlotterie” einen “gewaltigen Synergiestoß”. Die Idee, zu Beginn jeder Sendung Ramona und Jürgen Drews sagen zu lassen, welche Bücher sie in den letzten Wochen gelesen haben, wurde nur aus Furcht vor dem späten Zorn Sigrid Löfflers wieder aufgegeben. Obwohl die Überlegung nicht falsch war und bestimmt ein paar explosiv-, exclusiv-, taff und blitz-Zuschauer ins Literarische Quartett gelockt hätte. “Wir haben aber noch ein Aß im Ärmel”, sagte letzte Woche ein leitender ZDF-Redakteur. Was er nicht verraten wollte, plauderte Ariane Sommer nach Mitternacht im Stilwerk aus. Man hat ihr angeboten, für Iris Radisch einzuspringen, sobald diese als Nachfolgerin von Barbara Eligmann berufen wurde.

31.12.2000

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