Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
24.01.2001 12:04 +Feedback
In diesem Jahr lädt die Konrad Adenauer Stiftung zum “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” Berliner Schüler zu einer Diskussion ein. Grundsätzlich keine schlechte Idee, wenn man die Schüler über ihre Erfahrungen mit ihren Eltern und Großeltern und über ihre Ansichten zu den Neonazis heute reden lassen würde. Aber das wäre dann sozusagen eine rein deutsche Angelegenheit, die Innenansicht eines historischen Darkrooms. Für den richtigen Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus sind in Deutschland die Juden zuständig, weswegen Paul Spiegel immer einen Kommentar geben muss, wenn irgendwo ein Hakenkreuz an eine Mauer geschmiert wird. So sind es auch diesmal natürlich Juden, die den Berliner Schülern als Diskussionspartner vorgesetzt werden: u.a. ein Vertreter des American Jewish Committee, der Vorsitzende eines Landesverbandes jüdischer Gemeinden, die Chefredakteurin der “Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung”, der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland, eine “Zeitzeugin” und der bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche Rafael Seligmann, Sprecher des deutschen Landjudentums - insgesamt acht “jüdische Mitbürger”, die am “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” die neue deutsche Leidkultur repräsentieren sollen.
Man könnte das Ganze auch “Juden zum Anfassen” oder “Rent a Jew” nennen, wenn nicht auch ein einziger Nicht-Jude mit von der Partie wäre, ein Jesuitenpater, der vermutlich erzählen wird, wie die Jesuiten während des Krieges Widerstand geleistet und nach dem Krieg geholfen haben, Nazis nach Südamerika zu schleusen. Kein Kommunist, kein Zeuge Jehovas, kein Homosexueller, die ja alle auch irgendwie verfolgt worden sind, darf bei dieser exklusiven Runde mitreden.
Wenn also die primäre Qualifikation, sich über den Nationalsozialismus äußern zu können, darin liegt, dass man Jude bzw. Jüdin sein muss, stellt sich die Frage, warum zu solchen Festlichkeiten immer dieselben TeilnehmerInnen eingeladen werden - im Laufe des Tages kommen auch noch Salomon Korn, Lea Rosh und Michel Friedman ausgiebig zu Wort - warum nicht mal zur Abwechslung ein paar jüdische Sozialhilfeempfänger, die es ja auch gibt, gebeten werden, den Nationalsozialismus aus ihrer Sicht zu erläutern. Wäre doch interessant zu hören, wie das Leben nach dem Überleben aussieht, wenn man mit weniger als tausend Mark im Monat auskommen muss.
Womit wir wieder bei der Aktion “Brot statt Böller” wären. Brot ist wichtig, aber böllern macht mehr Spaß. Auch am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.
Henryk M. Broder, Berlin, 24.1.2oo1
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