Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.01.2001   12:04   +Feedback

Rent A Jew - Juden zum Anfassen

Es ist immer the same procedure as last year. Die deutsche Sektion der Welthungerhilfe ruft zum Jahresende zu ihrer Aktion “Brot statt Böller” auf, und dann geben die Deutschen doch 2oo Millionen Mark für Feuerwerkskörper aus, statt das Geld den Armen in Afrika und Asien zu spenden. So haben die einen ihren moralischen Auftritt und die anderen ihren Spaß. Und kaum hat das neue Jahr angefangen, kommt das selbe Prinzip wieder zum Einsatz, diesmal im Gewande der Erinnerung. Am 27. Januar ist Holocaust-Gedenktag, “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus”. Seit der Bundestag im Jahre 1995 diesen halboffiziellen Feiertag eingeführt hat, steht nicht nur fest, dass der Holocaust wirklich stattgefunden hat, es wird auch alles getan, damit er nicht wieder passieren kann. 1998 zum Beispiel hat der rheinland-pfälzische Landtag “wegen der Bedeutung des Tages” eine Sitzung im ehemaligen KZ Osthofen abgehalten, “um der Opfer zu gedenken, Trauer über Leid und Verlust auszudrücken und jeder Gefahr der Wiederholung entgegenzuwirken”. Die Sitzung wurde live im Fernsehen übertragen, die bußfertigen Abgeordneten wurden angewiesen, “warme Winterkleidung und entsprechendes” Schuhwerk anzuziehen.

In diesem Jahr lädt die Konrad Adenauer Stiftung zum “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” Berliner Schüler zu einer Diskussion ein. Grundsätzlich keine schlechte Idee, wenn man die Schüler über ihre Erfahrungen mit ihren Eltern und Großeltern und über ihre Ansichten zu den Neonazis heute reden lassen würde. Aber das wäre dann sozusagen eine rein deutsche Angelegenheit, die Innenansicht eines historischen Darkrooms. Für den richtigen Umgang mit dem Erbe des Nationalsozialismus sind in Deutschland die Juden zuständig, weswegen Paul Spiegel immer einen Kommentar geben muss, wenn irgendwo ein Hakenkreuz an eine Mauer geschmiert wird. So sind es auch diesmal natürlich Juden, die den Berliner Schülern als Diskussionspartner vorgesetzt werden: u.a. ein Vertreter des American Jewish Committee, der Vorsitzende eines Landesverbandes jüdischer Gemeinden, die Chefredakteurin der “Allgemeinen Jüdischen Wochenzeitung”, der Geschäftsführer des Zentralrates der Juden in Deutschland, eine “Zeitzeugin” und der bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche Rafael Seligmann, Sprecher des deutschen Landjudentums - insgesamt acht “jüdische Mitbürger”, die am “Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus” die neue deutsche Leidkultur repräsentieren sollen.

Man könnte das Ganze auch “Juden zum Anfassen” oder “Rent a Jew” nennen, wenn nicht auch ein einziger Nicht-Jude mit von der Partie wäre, ein Jesuitenpater, der vermutlich erzählen wird, wie die Jesuiten während des Krieges Widerstand geleistet und nach dem Krieg geholfen haben, Nazis nach Südamerika zu schleusen. Kein Kommunist, kein Zeuge Jehovas, kein Homosexueller, die ja alle auch irgendwie verfolgt worden sind, darf bei dieser exklusiven Runde mitreden.

Wenn also die primäre Qualifikation, sich über den Nationalsozialismus äußern zu können, darin liegt, dass man Jude bzw. Jüdin sein muss, stellt sich die Frage, warum zu solchen Festlichkeiten immer dieselben TeilnehmerInnen eingeladen werden - im Laufe des Tages kommen auch noch Salomon Korn, Lea Rosh und Michel Friedman ausgiebig zu Wort - warum nicht mal zur Abwechslung ein paar jüdische Sozialhilfeempfänger, die es ja auch gibt, gebeten werden, den Nationalsozialismus aus ihrer Sicht zu erläutern. Wäre doch interessant zu hören, wie das Leben nach dem Überleben aussieht, wenn man mit weniger als tausend Mark im Monat auskommen muss.

Womit wir wieder bei der Aktion “Brot statt Böller” wären. Brot ist wichtig, aber böllern macht mehr Spaß. Auch am Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus.

Henryk M. Broder, Berlin, 24.1.2oo1

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