Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

30.01.2001   12:05   +Feedback

Israel-Tagebuch, Tag 9: Privatisiert den Wilden Osten!

Es gibt vieles, worauf die Israelis stolz sind: Dass sie Einwanderer aus über hundert Ländern absorbiert haben. Dass sie sich in vier großen und einigen kleineren Kriegen gegen eine Übermacht von Feinden behauptet haben. Dass sie die einzige Demokratie im Nahen Osten sind. Dass sie den Kibbuz erfunden haben, das einzige funktionierende Beispiel für praktizierten Sozialismus. Dass Frauen in der Armee Männer ausbilden. Dass Dana International den Schlager-Grand-Prix gewonnen hat.

Mit größtem Stolz aber erfüllt es die Israelis, dass sie mehr Nachrichten produzieren als jedes andere Volk der Welt, und zwar absolut wie per capita, also pro Kopf der Bevölkerung. Gäbe es eine Abgabe für jede exportierte Nachricht, hätte Israel längst eine positive Außenhandelsbilanz. Die Israelis haben sich dermaßen daran gewöhnt, im Mittelpunkt des Weltinteresses zu stehen, dass man den Verdacht nicht vermeiden kann, der Konflikt mit den Palästinensern wird vor allem deswegen fortgesetzt, um nicht im Abgrund der Bedeutungslosigkeit zu versinken. (Für die Palästinenser gilt umgekehrt das Gleiche, weil auch sie PR für Politik halten.)

Und so lautet der Satz, mit dem jeder Besucher begrüßt wird: Never a dull moment, eh! Ja, es ist immer irre aufregend, es ist immer was los, es geht immer ums nackte Überleben. 1981 zum Beispiel, als der Sinai an Ägypten zurückgegeben wurde, da hatten sich ein paar Jugendliche in einem Bunker in der Stadt Yamit verbarrikadiert und mit Selbstmord gedroht, falls die Armee versuchen sollte, sie zu evakuieren. Das ganze Land bangte um das Leben einiger Wirrköpfe.

Zehn Jahre später, als irakische Scud-Raketen in Tel Aviv einschlugen, da flüchteten jeden Abend Tausende von Tel Avivern nach Jerusalem. Alles schon Geschichte. Zehn Jahre nach dem Golfkrieg hängt das Überleben Israels davon ab, wer die Souveränität über den Tempelberg ausübt. Die Israelis oder die Palästinenser? Warum nicht McDonald’s? Oder Coca Cola? Statt den Konflikt zu internationalisieren, sollte man ihn privatisieren und sowohl die Israelis wie die Palästinenser als Partner. beteiligen. Optimal wäre es, den ganzen Nahen Osten zu einer Duty-Free-Zone zu erklären. Dann wäre der historische Konflikt im Nu vorbei, fünf internationale Armeen (Undof, Unifil, Untso, MFO und TIPH), deren Unterhalt Milliarden kostet, könnten abziehen. Und auch Peace Now könnte sich endlich auflösen. Das Leben rund um den Tempelberg würde normal und langweilig werden. Never a dull moment? Gott behüte! Es wäre das Schlimmste, was dem Wilden Osten passieren könnte.

30.1.2001

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