Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

30.01.2001   12:05   +Feedback

Israel-Tagebuch, Tag 10: Das Café Atara - die “Krone” in Jerusalem

Jede ordentliche Stadt hat “ihr” Café. In Wien ist es das Hawelka, in Zürich das Sprüngli, in Berlin das Einstein und in Jerusalem das Atara. Genauer: In Jerusalem war es das Atara. Zwar gibt es das Café noch, aber es ist nicht mehr, was es einmal war.

Das Cafe Atara in Jerusalem

Das Cafe Atara in Jerusalem(© Andre Brutmann)

1938 kam Bernhard Grünspan in Palästina an. In München hatte er ein Geschäft für Herrenkonfektion, in Jerusalem machte er zusammen mit seinem Sohn Heinz ein Café auf, das Atara, was im Hebräischen so viel wie “Krone” bedeutet. “Es gab schon andere Cafés in Jerusalem”, erinnert sich Lotte Geiger, 1914 in Berlin geboren und 1933 gegen den Willen ihrer Eltern nach Palästina ausgewandert, “im Café Vienna hat man nachmittags Musik gespielt, im Café Sichel und Café Siedner gab es selbst gemachte Schnecken und Bienenstiche, im Café Europa standen Palmen im Hof und man wurde von zwei Meter großen Sudanesen bedient”. Aber das “Atara” war etwas Besonderes, “man kam, um sich zu unterhalten und um Zeitung zu lesen, wie früher bei Zuntz sel. Witwe in Berlin”, sagt Gad Granach. Ein echtes deutsches Caféhaus eben.

Zwei Jahre, von 1938 bis 1940, stand das Atara in der Jaffo Road, dann zog es in die Ben Jehuda Street Nr. 7, die Flaniermeile der Stadt. Über ein halbes Jahrhundert war das Atara eine Institution mit warmer und kalter Küche, 1996 wurde es geschlossen. “Wir konnten die Miete nicht mehr bezahlen”, sagt Uri, 1944 in Jerusalem geboren, Sohn von Heinz und Enkel von Bernhard Grünspan, der seinen Namen inzwischen Greenspan schreibt. Wo früher das Atara war, hat Burger King einen weiteren Laden aufgemacht. Doch im Sommer 1997 hatte Jerusalem seine “Krone” wieder, in der Ben Jehuda Street Nr. 15. Ein kleines Café mit nur 50 Sitzen, eingeklemmt zwischen zwei Konfektionsgeschäfte. “Es ging nicht schlecht, aber es machte keinen Spaß mehr”, sagt Uri Greenspan.

Die Flaniermeile wurde von der Stadt kaputtsaniert, das Publikum hatte sich geändert, statt der alten Jerusalemer kamen nur noch Touris auf eine Cola. Ende des letzten Jahres machte das Atara in der Ben Jehuda zum zweiten Mal zu. Diesmal für immer. Aber doch nicht ganz. Denn schon vor zwei Jahren hat Uri G. ein Atara in der Aza Road in Rehavia aufgemacht, einem recht feinen, grünen Stadtteil mit alten Häusern im Bauhaus-Stil. Es ist, als wäre das Kranzler vom Kudamm in den Grunewald umgezogen. Aber immerhin: Ein wenig von Zuntz sel. Witwe lebt weiter in Jerusalem.

30.1.2001

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