Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

30.01.2001   12:05   +Feedback

Israel-Tagebuch, Tag 15: Schlechte Zeiten für gute Geschäfte

Durch das Jaffa-Tor müssen alle durch. Rechts geht es in das armenische und das jüdische Viertel, links in das christliche und geradeaus in das moslemische. Die ganze Altstadt ist einen Quadratkilometer groß - es gibt Parkplätze an amerikanischen Shopping-Malls, die größer sind -, und auf dieser Fläche leben etwa 20.000 Menschen: christliche und moslemische Araber, Armenier und Juden. Zur Zeit schaut alle Welt auf die Altstadt von Jerusalem, weil sie allen heilig ist.

Im muslimischen Viertel der Altstadt

Im muslimischenViertel der Altstadt(© Andre Brutmann)

Praktisch bedeutet das: Die Gläubigen kommen zum Beten, die Touristen zum Schauen, und diejenigen, die hier wohnen und ihre Geschäfte haben, kämpfen im Sommer mit der Hitze, im Winter mit der Kälte und das ganze Jahr über mit der Müllabfuhr. Das verbindet, und deswegen gab es in der Altstadt weniger hässliche Vorfälle als anderswo.

Und jetzt gehört die Altstadt ganz ihren Einwohnern. Die Besucher bleiben weg. Am Jaffa-Tor stehen ein paar Russen und trinken sich Mut an, sie sehen wie Gastarbeiter aus, könnten aber auch arglose Touristen sein, die zum Einkaufen nach Israel gekommen sind. Das Abu Saif Restaurant und das Café Lido sind vollkommen leer, das New Imperial Hotel, bei Rucksack-Touristen sehr beliebt, ist geschlossen, das Internet-Café im selben Haus ebenso. Gleich um die Ecke im Nafoura-Restaurant steht ein verzweifelter Besitzer hinter der Theke und zählt seine Gäste. “Heute waren es fünf, gestern kam überhaupt niemand. Das Geschäft ist um über 90 Prozent zurückgegangen.” Er hat erst 1999 aufgemacht und mit viel Aufwand einen verwahrlosten Platz an der Innenseite der Altstadtmauer in ein schönes Lokal umgebaut, in dem man gut essen konnte. Hierher kamen alle: Israelis und Palästinenser, Christen, Juden und Moslems. Wie lange ist das her? Keine vier Monate.

30.1.2001

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