Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

28.01.2001   12:05   +Feedback

Musik liegt in der Luft! Vom Walzer an der Rampe zum Rock gegen Rechts

War das wieder ein Wochenende! Die lange Nacht der Museen und Holocaust-Gedenktag am selben Tag! Man wusste gar nicht, wohin zuerst. In das Museum für Natur und Technik oder in die Tanzschule Maxixe in Kreuzberg zum

Udo Lindenberg: Rocker gegen Rechts

“Tanz gegen Rechts” mit den “Metropolitans” und einer Tombola - 1. Preis: ein Wochenende in Guben für zwei Personen, 2. Preis: ein Besuch in der KZ-Gedenstätte Sachsenhausen für eine Person. Ins Hanf-Museum (“Dein Rausch - das unbekannte Wesen”), in den Hamburger Bahnhof zu “After the Wall” oder mit der S-Bahn von Spandau nach Strausberg, “auf eine Reise in die Geschichte” mit Künstlern der Gruppe “Mifgasch / Begegnung”, die “Theaterszenen gegen das Vergessen” aufführen - in der fahrenden S-Bahn und “im Gespräch mit den Fahrgästen”, ob die es wollen oder nicht. Am Tag zuvor gab es schon eine Gelegenheit zu einem “Pressegespräch und Fototermin” mit Buddy Elias, dem Cousin von Anne Frank, der aus Basel angereist war. Ein reizender Herr von Mitte 7o, der “vom Deutschland-Beauftragten des Anne Frank Hauses” betreut und begleitet wurde. Möge Bernhard “Buddy” Elias lange leben, denn wenn er eines Tages nicht mehr da ist, wird sein Friseur oder sein Bäcker oder seine Putzfrau die Aufgabe übernehmen müssen, darüber zu erzählen, was Buddy Elias über seine Cousine Anne Frank erzählt hat. So was nennt man “oral history” und ist vor allem unter Erziehern, die zu faul zum Bücherlesen sind, sehr beliebt. Während Buddy Elias in Berlin weilte, wurde im Leipziger Schulmuseum die Ausstellung “Anne Frank” eröffnet. Ehrengast und “zu Gast bei Anne Frank in Leipzig” (Neues Deutschland) war “der jüdische Straßenkünstler und Marimba-Virtuose Alex Jacobowitz”, nicht verwandt und nicht verschwägert mit Anne Frank, aber als Jude und Künstler im weitesten Sinne Teil der Mischpoche. Vermutlich war Giora Feidman grade zu einem Klezmer-Konzert in Auschwitz unterwegs und deswegen mussten die Leipziger nehmen, wer noch nicht ausgebucht war, Alex Jacobowitz eben, den Paganini der Marimba.

Denn es geht nicht ohne Musik. Das wussten schon die alten Nazis und deswegen hatte jedes ordentliche KZ ein anständiges Orchester. Damals war es “Walzer an der Rampe”, heute ist es “Rock gegen Rechts”. Vor ein paar Monaten hatte schon Grönemeyer ein Konzert am Brandenburger Tor gegeben und sich tierisch darüber gefreut, dass wegen der Auf- und Abbauarbeiten die Berliner Innenstadt tagelang vollkommen zu war. Der Verkehr brach zusammen, aber die Nazis zeigten sich unbeeindruckt. Deswegen wird “Rock gegen rechte Gewalt” jetzt wiederholt, diesmal unter der Führerschaft von Udo Lindenberg. Mit vier Konzerten in Dresden, Hamburg, Rostock und Berlin soll “dem braunen Spuk” ein Ende gesetzt werden, sagte Lindenberg auf einer Pressekonferenz, in einem Jahr soll es ein Deutschland “ohne rechte Gewalt” geben. Und an die Adresse der Jung-Nazis richtete er die Einladung: “Kommt doch lieber zu uns, wir machen die bessere Party.”

Ja, wenn die Glatzen mal richtig abtanzen können, werden sie aufhören, Ausländer zu klatschen. Oder Udo Lindenberg und die Söhne Mannheims werden so lange weiter spielen, bis dem letzten Nazi das Trommelfell platzt, wie den Marsmenschen am Ende des SF-Films “Mars Attacks!”

An dieser Stelle zu fragen, was denn passieren wird, wenn der Rock around the clock nach einem Jahr ohne die gewünschte Wirkung bleibt, wäre die reine Ketzerei. Denn erstens ist Lindenberg nach Zlatko und Dieter Bohlen der wichtigste Theoretiker der populären Musik, sozusagen der Peter Sloterdijk des Deutschrocks, und zweitens stehen noch mehr Künstler bereit, die Nazis Mores zu lehren: Ben Becker und Iris Berben, Ingo Appelt und Nina Hagen, die S-Bahn-Fahrer der Gruppe “Mifgasch” und Alex Jacobowitz mit seiner Marimba. Sie machen Musik, da geht uns der Hut hoch und den Nazis der Arsch auf Grundeis. Oder umgekehrt. In einem Jahr sind wir schlauer.

HMB, 28.1.2oo1

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