Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

23.04.2001   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Gunther von Hagens

Der Doktor Frankenstein unserer Tage, liebt Leichen und macht sich für die gesundheitliche Aufklärung stark

Bis vor kurzem gab es nur zwei Berliner Attraktionen, die sich den Ehrentitel “Publikumsmagnet” verdient hatten: die Reichstagskuppel (zurecht) und das leere Jüdische Museum (grundlos); seit kurzem ist die Hauptstadt um einen dritten “Publikumsmagneten” reicher, falls man den Begriff auch auf ambulante

Gunther von Hagens

Attraktionen anwenden mag. Über 4oo.ooo Menschen haben von Anfang Februar bis Mitte April die Leichenshow “Körperwelten” des Heidelberger “Plastinators” Gunther von Hagens besucht, der 5oo.ooo. Besucher wird am 1. Mai erwartet. Es ist eine makabre Inszenierung toter Körper, die in einem zivilisierten Land die sofortige Entmündigung und Zwangseinweisung der Veranstalter nach sich gezogen hätte. In Deutschland dagegen, wo das Müll-Recycling zu den am weitesten entwickelten Formen industrieller Resteverwertung gehört, zählen auch Leichen zu den wiederverwertbaren Rohstoffen, wenn sich einer nur den dazu passenden Stuss einfallen läßt, zum Beispiel den, durch den Ausstellungsbesuch würde “die Achtung vor dem Körper, das Gesundheitsbewusstsein und die Bereitschaft zur Organspende deutlich steigen”; ja, wer jemals einen plastinierten Blinddarm aus der Nähe betrachtet hat, der spürt den Atem Gottes und wird seine Eier am Ende seiner Tage der Wissenschaft zur Verfügung stellen.

Gunther von Hagens ist gelernter Arzt, er hat seine Doktorarbeit über “Die Wirkung der intravenösen Narkotika ... und der Inhalationsnarkotika .. auf den unteren Ösophagussphinkter” geschrieben und sieht aus, als habe er zu lange und zu gründlich für seine Promotion recherchiert. Ein wenig Joseph Beuys, ein wenig Doktor Mabuse, führt er seine plastinierten Leichen wie eine Sammlung toter Käfer vor. In Mannheim, Köln und Oberhausen kamen über zweieinhalb Millionen Besucher, zählt man Wien, Basel und Japan dazu, sollen es, sagt von Hagens, “bisher 6 Millionen” gewesen sein, eine mystische Zahl, die in der deutschen Geschichte öfter auftaucht.

Womit wir beim Thema wären. Am 11. März erschien in der Welt am Sonntag ein Interview mit dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde zu Berlin, Andreas Nachama. Darin sagte er unter anderem: “Ich finde es grundsätzlich höchst bedenklich, dass Menschen, die gestorben sind, zu einem Objekt der künstlerischen Verfremdung und des Bestaunens gemacht werden. In einer Gesellschaft, die diese Ausstellung zum Ziel eines Sonntagsausflugs nimmt, ist etwas nicht in Ordnung ... Ich bin fassungslos, dass eine solche Ausstellung stattfinden kann. Aber möglicherweise ist sie die logische Konsequenz dessen, was im 2o. Jahrhundert schon passiert ist. Da wurde kein Halt gemacht vor lebenden Menschen, da wurden menschliche Körper millionenfach von Mördern zu Asche verbrannt oder zu Seife verarbeitet, aus menschlicher Haut Lampenschirme hergestellt ... Diese Menschen gehören beerdigt, weil ihr irdisches Leben beendet ist. Sie dürfen nicht wie eine Ware ausgestellt werden ...”

Vor Nachama hatten sich schon Vertreter der christlichen Kirchen geäußert, im gleichen Sinn, wenn auch nicht so unmissverständlich. Gunther von Hagens hatte die Kritik der Katholiken und Protestanten hingenommen, nur von einem Juden mochte er sich keine Belehrung anhören. So setzte er sich hin und schrieb einen Offenen Brief, in dem er Nachama vorwarf, der würde “den Ruf der Jüdischen Gemeinde als ernst zu nehmende moralische Institution gefährden”; der Plastinator aus Heidelberg machte sich aber nicht nur Sorgen um das Ansehen der jüdischen Gemeinde, er verwahrte sich auch gegen “eine nicht annehmbare Verharmlosung der deutschen Verbrechen im Nationalsozialismus” und schraubte den Vorwurf an Nachama gleich noch ein paar Umdrehungen weiter: “Als geschichtsbewusster Deutscher, der Dachau und Buchenwald mehrfach besuchte, empfinde ich dies gar als eine Verhöhnung des Leidens und des Sterbens nationalsozialistischer Opfer.”

Wo ein Jude die Verbrechen der Nazis dermaßen verharmlost, da muss ein geschichtsbewusster Deutscher, der Dachau und Buchenwald gleich mehrfach besuchte, die Opfer der Nazis in Schutz nehmen. Und zugleich auch die “inzwischen dreieinhalbtausend Körperspender, die sich in voller Überzeugung für die Körperspende zur Plastination entschieden haben”, denn: “Damals wurden Menschen selektiert und ermordet, heute stellen sich Menschen ganz bewusst nach ihrem Tod in den Dienst der gesundheitlichen Aufklärung.”

Das stellt nicht nur die Ehre der Nazi-Opfer wieder her, es macht auch klar, wie wichtig “gesundheitliche Aufklärung” war und ist. Auch von Hagens’ bekannter Kollege Josef Mengele hat seine Arbeit als Beitrag zur wissenschaftlichen Forschung und gesundheitlichen Aufklärung verstanden, und was für ein tolles Material in die Hände von Hagens’ gefallen wäre, wenn er nur die Gelegenheit gehabt hätte, in einer der großen Körperspenderanstalten der 4oer Jahre arbeiten zu können, ist ein Gedanke, den wir an dieser Stelle nicht weiter spinnen wollen. Es reicht, dass ein nekrophiler Kauz ungehindert Doktor Frankenstein spielen und damit ordentlich Kohle machen kann, ohne dass ihm ein Stadtrat in die Parade fährt.

Prof. Dr. Gunther von Hagens, der sich gern mit “Genies wie Leonardo da Vinci” vergleicht, ist nämlich eine international anerkannte Kapazität auf seinem Gebiet. “Gastprofessor der medizinischen Universität Dalian, China; Ehrenprofessor der Staatlichen Medizinischen Akademie Bishek, Kirgisien” - so unterschreibt der Wissenschaftliche Direktor des Instituts für Plastination seine Briefe. Da wollen wollen wir nicht kleinlich sein und noch einen Titel hinterher schicken. Der Schmock der Woche geht an den Plastinator in Heidelberg.

HMB, Berlin, 23.4.2oo1

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