Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.03.2001   12:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Paul Spiegel und Rafael Seligmann

Ein Schmock kommt selten allein

Der Doppelschmock der Woche geht an Paul Spiegel und Rafael Seligmann für deren engagierten Einsatz gegen rechtsextreme Gewalt

Beinah wäre es ein rundum schöner Abend geworden. Ich war mit Reinhard Mohr bei Paul Sahner, wir hatten ein witziges Gespräch über die Promis dieser

Rafael Seligmann

Welt, dann ging ich zurück zum Hauptbahnhof und kaufte mir unterwegs die Münchener Abendzeitung. Und was sehe ich da auf Seite eins? Ein “AZ-Interview mit Paul Spiegel über Zunahme rechtsextremer Gewalt”: Das allein wäre noch nichts Besonderes, denn vom Flensburger Tageblatt bis zum Allgäuer Boten gibt es inzwischen keine Zeitung im neuen Deutschland, der Paul Spiegel noch kein

Paul Spiegel

Interview über die Zunahme rechtsextremer Gewalt gegeben hätte. Das Besondere in diesem Fall war nicht, dass sich jetzt auch die AZ (aus Anlass der Eröffnung der Woche der Brüderlichkeit) des Themas annahm, das Besondere war, dass Paul Spiegel, der Vertreter des rheinischen Frohsinns, von “AZ-Mitarbeiter Rafael Seligmann”, dem Repräsentanten des deutschen Landjudentums, interviewt wurde. (Seligmann erzählt jedem, seine Familie habe über 4oo Jahre in Ichenhausen gelebt, bevor die Nazis auch in Ichenhausen an die Macht kamen. Bis jetzt habe ich Katowice für das Letzte gehalten, womit man angeben könnte, aber Ichenhausen ist das Allerletzte.) Also: Seligmann interviewt Spiegel, denn erstens sind für die Bewertung und Bekämpfung rechtsextremer Gewalt in Deutschland die Juden zuständig, und zweitens kann einfach nix schief gehen, wenn ein Jude einen anderen Juden über ein Problem interviewt, das die “nichtjüdischen Deutschen”, wie sich die Arier inzwischen gerne selbst nennen, nur als Linienrichter betrifft. Es wäre deswegen vollkommen sinnlos, Boris Becker zu einem Interview mit Michael Stich über rechtsextreme Gewalt zu schicken. Oder Petra Perle zu Sissy Perlinger. Aber Spiegel und Seligmann sind das thematische Traumpaar. So als würde Dolly Buster ihre Kollegin Gina Wild über die richtige AIDS-Prävention befragen. Was soll man tun, um eine Ausbreitung der Seuche zu verhindern? Wobei der einzige Unterschied zwischen AIDS und Antisemitismus darin liegt, dass der Antisemitismus weiter verbreitet und gänzlich unheilbar ist. Also gilt es, die Dinge beim Namen zu nennen. Und so stellt Seligmann an Spiegel die knallharte investigative Frage, wie er es immer tut, wenn er ein Interview führt: “Wo sehen Sie die Ursachen für die Zunahme des Rechtsextremismus?”

Und Paul Spiegel antwortet, ebenso knallhart: “Mehrere Dinge: Vor allem in Ostdeutschland wurden die Mittel für die Jugendarbeit drastisch zusammengestrichen. Dann sind viele Lehrer bei ihrer Aufgabe, vor dem Radikalismus zu warnen, noch immer überfordert. Schließlich: Manchmal wurde zu viel des Guten getan. Die Schüler wurden überlastet. Hier gilt es, einfühlsam aufzuklären.”

Was gilt denn nun? Wurde zu wenig oder zu viel des Guten getan? Wurden die Schüler unterfordert oder überlastet? Und wie müsste man “einfühlsam aufklären”? Wäre ein Abend mit Paul Spiegel und Peter Maffay bei Johannes Rau die sensible Alternative zu einer Reise nach Auschwitz?

Ein wenig verwirrt setzte ich mich in den Zug. Wenn schon Rafael Seligmann und Paul Spiegel so ratlos sind, wie sollen dann die “nicht-jüdischen Deutschen” mit dem Phänomen der rechtsextremen Gewalt zurecht kommen? Jetzt warte ich nur darauf, dass Paul Spiegel demnächst Rafael Seligmann interviewt. Ein schönes Thema wäre: “Was tun gegen Haarausfall?” Auch hier gilt es, einfühlsam aufzuklären und die Mittel richtig zu dosieren.

HMB, Berlin, 8.3.2oo1

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