Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.04.2001   13:03   +Feedback

Essen, trinken und zocken: Colonial Beach

In unserer Reihe “Orte, die niemand kennt” besuchen wir heute: Colonial Beach in Virgina am Potomac River, zwei Autostunden südlich von Washington, D.C.; Colonial Beach ist das, was man früher “eine Sommerfrische” genannt hat.

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So ähnlich muss es vor vielen Jahren auch in Scharbeutz an der Ostsee ausgesehen haben, bevor die Modernisierung einsetzte. In Colonial Beach dagegen ist die Zeit stehen geblieben. Es gibt nur ein neues und großes Hotel, das Days Inn mit 6o Zimmern, außerdem zehn kleine Bed&Breakfast-Häuser, Inns und Motels mit zwei bis 2o Zimmern. Das schönste ist Doc’s Motor Court von Ellie und Herbert Caruthers, direkt an der Promenade. Es hat nur 14 Zimmer und ist so altmodisch, als wäre es für einen Film über die 5oer Jahre nachgebaut worden. Tatsächlich wurde es 1949 eröffnet und steht seitdem unverändert in der Irving Avenue, allerdings wurden alle Zimmer inzwischen mit Klimaanlage und Kabel-TV ausgerüstet. Ellie und Herbert sind beide über 7o und pumperlgesund, was vor allem damit zu tun hat, dass sie viel an der frischen Luft sind und alles selber machen. “Wir sind mit unseren Gästen alt geworden”, sagt Ellie, “aber wir geben nicht auf”. Sie haben nur noch in der Saison vom 15. Mai bis zum 15. September auf, die übrigen acht Monate machen sie Ferien im eigenen Haus. Dann sitzt Herbert am Computer und surft durch die Welt, während Ellie ihre Nachbarn und Nachbarinnen besucht.

Unter anderen Sylvia Banks, die schräg gegenüber wohnt. Sie sagt, sie wäre erst 66, aber wahrscheinlich schummelt sie ein wenig. Die ehemalige Striptease-Tänzerin (“Ich bin überall in den USA aufgetreten”) lebt seit fünfzehn Jahren in Colonial Beach, vor fünf Jahren hat sie damit angefangen, das Städtchen in ihrem Vorgarten nachzubauen, aus Spielzeugteilen und Styropor. Und wenn sie in der Abenddämmerung die 15oo Miniglühbirnen einschaltet, sieht ihre “Styrotown” wie eine richtige Großstadt aus. Sylvia zieht sich mehrmals am Tag um, es kommen immer wieder Besucher, denen sie ihr Leben erzählt und ihre Anlage erklärt.

Auch Robert (Bob) Swink hat ein Hobby. Er pflegt einen Ford T aus dem Jahre 193o, mit dem er ab und zu auch durch Colonial Beach fährt, “aber nur bei gutem Wetter und wenige Meilen im Jahr”. Der Wagen sieht aus, als sei er gestern in Detroit vom Fließband gerollt. Sogar die “rumble seats” im Heck lassen sich ausklappen, allerdings ist es ein wenig mühsam, in die Sitze zu kommen und noch mühsamer, sie wieder zu verlassen. Bob macht in “real estate”, bietet Häuser zum Kaufen und Mieten an. Seine Frau Jan kümmert sich derweil um das “Nightingale Motel & Marina”, ein Mini-Motel mit fünf Zimmern mit eigenem Bootssteg. Im Winter ziehen die beiden nach Florida, “weil es dort wärmer ist”. Und weil Colonial Beach doch sehr überschaubar und ein wenig klein ist.

Morgens trifft man sich in “Lenny’s Restaurant und Cafe”, wo den ganzen Tag Frühstück serviert wird, abends am Strand im “Riverboat”, einem Restaurant und Off-Track-Wettladen mit 24-Stunden-Betrieb. Man isst panierte Schrimps und gibt zugleich Wetten ab. Je nach Tageszeit sieht man live und in Echtzeit 2o bis 3o Pferderennen aus ganz USA und Australien auf großen TV-Geräten, die unter der Decke hängen.

Nun sind in Virginia Wetten und Glücksspiele verboten. Aber das “Riverboat” steht nicht in Virginia, sondern in Maryland, wo Wetten und Glücksspiele erlaubt sind. Die “Staatsgrenze” ist die Küstenlinie, und das “Riverboat” ruht auf Pfählen im Wasser, “offshore” sozusagen. Wege Ebbe und Flut verschiebt sich die Staatsgrenze im Laufe des Tages ein wenig, aber für die Besucher gilt nur, was über der Tür steht: “Welcome to Maryland” beim Reingehen und “Welcome to Virginia” beim Rausgehen.

Colonial Beach ist eben eine richtige Grenzstadt. Mit allem, was dazu gehört.

Henryk M. Broder, Berlin, 24.4.2oo1

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