Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

16.02.2001   12:04   +Feedback

Norman wieder allein zu Haus

Nach dem Finkelstein-Hype: Welches Tabu ist jetzt dran?

Norman Finkelstein

Nachdem sich der PR-Qualm gelegt hat und Norman Finkelstein wieder in Brooklyn angekommen ist, wo er das Erbe seiner toten Eltern hütet, als wäre es der Schatz der Nibelungen, können wir uns entspannt zurück lehnen und ein wenig darüber nachdenken, welche Sau als nächste durch das Dorf getrieben wird. Der Präsident der “Flat Earth Society” aus Lancaster/Kalifornien, der uns beweisen wird, die Erde sei keine Kugel, sondern eine Scheibe? Oder vielleicht der Oberpriester der “Unarius Academy of Science” aus San Diego, der die Ankunft von Außerirdischen für das Ende nächsten Jahres vorher sagt? Es gibt die “Flat Earth Society” und die “Unarius Academy of Science” wirklich, die “Gesellschaft” wie die “Akademie” verbreiten sensationelle und abenteuerliche Erkenntnisse, doch ihre Chancen, von der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, sind minimal. Denn es fehlt ihnen an dem, was man in Amerika “the Jewish connection” nennt. Die Sache würde anders aussehen, wenn die Sache mit der Scheibe eine “jüdische Erfindung” wäre und die Expedition der Außerirdischen vom “jüdischen Kapital” finanziert würde.

Dann hätten wir wieder zwei Sensationen, über die wir unbedingt diskutieren müssten, denn erstens darf es kein Tabu geben und zweitens darf man das Reich des Absurden und Okkulten nicht den Obskuranten überlassen. So wie der Antisemitismus eine viel zu ernste Angelegenheit ist, als dass man sie den Antisemiten überlassen dürfte. Oder wie es der österreichische Satiriker Alexander Roda-Roda mal gesagt hat: “Aus dem Antisemitismus könnte schon was werden, wenn sich nur die Juden seiner annehmen würden.”

Ich will damit nicht behaupten, Norman Finkelstein sei nur ein Autist, ein Psychopath und ein Roboter, der seinen schnellen Aufstieg zum Lieblingsjuden der Deutschen im Monat Februar allein der Tatsache verdankt, dass er antisemitischen Stuss verbreitet, den viele deutsche Mitbürger gerne hören. Im Gegenteil, er berührt in seinem Buch viele richtige Punkte, die nicht verschwiegen werden dürfen, auch wenn sie den berühmten “Beifall von der falschen Seite” provozieren könnten.

Die “Amerikanisierung” des Holocaust, die Kommerzialisierung des Völkermords ist ein Ekel erregendes Phänomen. Aber es werden nicht nur in Hollywood und New York “Holocaust”-Parties gefeiert. Vor der Berliner Premiere der Neuverfilmung von Jurek Beckers “Jakob, der Lügner"servierten livrierte Kellner Sekt und Lachshäppchen, die übliche KZ-Kost, und kaum war der Hauptdarsteller tot, ging es in VIP-Bussen zu einem Empfang bei “Käfer” auf dem Dach des Reichstages - alles natürlich mit dem Ziel, dass sich die Nazi-Greuel nicht wiederholen. Im Studio Babelsberg wird derzeit für einen Polanski-Film das Warschauer Ghetto nachgebaut - die Studio-Chefs freuen sich über einen weiteren Großauftrag, der viele Millionen wert ist und der zuständige “Bauleiter” sagt, er sei “stolz” auf seine Handwerker, die in kürzester Zeit aus den Resten der “Sonnenallee” so eine tolle Kulisse gezaubert hätten. Eine Super-Leistung, nur noch zu vergleichen mit der Errichtung des Originals vor rund 6o Jahren.

Der Holocaust ist eine Art öffentliche Goldgrube, in der immer mehr Schürfer ihre Claims abstecken, ein sicherer Abenteuerspielplatz für alle möglichen Wichtigtuer, die nach einem Seiteneingang in die “Hall of Fame” der Geschichte suchen - sei es Elie Wiesel, der sein Leiden vermarktet, sei es Hilmar Hoffmann, der für den unwahrscheinlichen Fall, dass er eines Tages doch die präsidiale Leitung des Goethe Instituts abgeben müsste, vorsorgt, indem er das Patronat über ein Internet-Portal namens “www.holocaust-education.de” übernimmt, eine “internationale Kommunikationsplattform für Lehrer, Schüler und Interessierte zum Austausch über aktuelle Fragen”, einen Holo-Chatroom sozusagen, dessen Besucher sich darüber unterhalten können, wie man einen Völkermord organisiert oder wie man ihm entkommt.

So betrachtet, gibt es in der Tat eine “Holocaust-Industrie”, ein Joint venture von Überlebenden und Nachgeborenen, Juden und Nichtjuden, Zockern und Abzockern, die vor nichts zurückschrecken. Aber das ist nicht Finkelsteins Punkt. Denn der ist bereits oft und ausführlich beschrieben worden. Und hätte er sich nur darauf beschränkt, hätten ihm ein paar Leser und Rezensenten freundlich zugenickt.

Was Finkelstein sagt, geht weiter und ist in seiner Simplizität genial . Erstens: Es gibt jüdische Eliten, die in der Lage sind, eine Verschwörung zu organisieren. Zweitens: Die Juden nutzen den Holocaust aus, um damit Geld zu machen. Drittens: Wenn es heute Antisemitismus gibt, so sind daran die Juden mit ihrem Verhalten schuld. Viertens: Die Deutschen sollten aufhören, sich von den Juden erpressen zu lassen. Das Schöne an solchen Sätzen ist, dass sie nicht belegt werden müssen, weil sie auf ein bereits vorhandenes “Wissen” stoßen. Auch wer noch keinen Juden gesehen hat und einen Bismarck-Hering von einer Portion “gefillte Fish” nicht unterscheiden kann, weiß, dass die Juden gerissen sind und überall die Strippen ziehen, dass sie alles zu Geld machen, dass es keinen Antisemitismus gäbe, wenn es keine Juden geben würde und dass die Deutschen schon viel zu lange im Büßerhemd herumlaufen.

Es geht nicht um Tatsachen - gut möglich, dass sich ein paar jüdische Funktionäre auf Kosten jüdischer Überlebender bereichert haben - es geht um Ressentiments, die dadurch in den Rang von Fakten erhoben werden, dass sie von einem Juden affirmiert werden. Der klassische Dreiklang von Juden & Geld & Verschwörung hört sich noch immer gut an.

So kommt es, dass selbst die härtesten Revisionisten, die ansonsten behaupten, es habe keinen Holocaust gegeben, über ihren Schatten springen und Finkelstein zujubeln, denn ein Holocaust, den die Juden “missbrauchen”, ist ihnen der zweitliebste nach einem, den es nicht gegeben hat. Und wurde bislang darüber spekuliert, wie viele Juden “im Verlauf der Kampfhandlungen” ums Leben gekommen sind, so rechnet Finkelstein nach, wie viele überlebt haben können. Die eine Rechnung ist so makaber wie die andere, aber beide dienen demselben Zweck: den “Wiedergutmachungsschwindel” mit Zahlen zu beweisen.

Würde Finkelstein Schmitz heißen und wäre er nicht “Professor für politische Wissenschaften am Hunter College” sondern Dozent an der Uni Oldenburg und würde er dann behaupten, was er eben behauptet hat, kein Mensch würde sich für ihn interessieren - außer vielleicht ein oder zwei barmherzigen Therapeuten, die sich auf die Behandlung von Megalomanen spezialisiert haben. Vor Beginn seiner Berliner Pressekonferenz erklärte er in vollem Ernst, er würde alle Fragen beantworten, nur keine zu Arik Scharon. In einem seiner zahllosen Radiointerviews sagte er, er bedaure, dass ihn der Rummel um das Buch davon abhalten würde, sich für die Palästinenser einzusetzen. Und in der Schweiz rief er die Schweizer Juden dazu auf, den Schweizer Banken gegen die schamlosen Forderungen der jüdisch-amerikanischen Organisationen beizustehen. Halb Robin Hood im Straßenanzug und halb Dr. Seltsam in Zeitlupe focht er zugleich an allen Fronten - und niemand lachte.

Im Gegenteil: In der Anmoderation des ZDF-Nachtstudios (“Fragen an Norman Finkelstein”) zitierte Moderator Volker Panzer den Historiker Michael Brenner, der einen Artikel veröffentlicht hatte, der mit dem naiven Satz endete: “Finkelstein kommt und keiner geht hin”. Was Panzer zu dem empörten Ausruf veranlasste: “Das klingt ja wie ‘Kauft nicht bei Finkelsteins!’” Ja, und wer meint, Volker Panzer sollte vor dem nächsten Nachtstudio zum Friseur gehen, der verweigert ihm das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit. Finkelstein mag ein verschrobener Moralist sein, seine deutschen Fans sind es nicht. Im Gegensatz zu ihm wissen sie genau, worum es geht: einen historischen Lastenausgleich zwischen den Deutschen und den Juden, bei dem die Juden bis jetzt bevorzugt worden sind. Da kommt Finkelstein wie ein Geschenk der Vorsehung. Die Aufregung, die er verursacht, hat nichts mit Aufklärung aber alles mit Entlastung zu tun. Darf es noch ein Beleg mehr sein? Der Ereignis-Kanal Phoenix hat die Finkelstein-Pressekonferenz am 7. Februar live übertragen, als wäre es die Kür des CDU-Kanzlerkandidaten. Es war ein Event von nationaler Bedeutung. Am 22. Februar wird in Berlin das Buch “IBM und der Holocaust” von Edwin Black vorgestellt. Immerhin, keine unwichtige Publikation zur NS-Geschichte. Ich fragte bei Phoenix nach, ob man vorhabe, auch diese Buchvorstellung live zu senden. Die Pressestelle wusste von nix und reichte meine Anfrage an die Abteilung Planung weiter. Von dort meldete sich ein Mitarbeiter bei mir und wollte wissen, wann und wo die Präsentation stattfinden würde, man habe von dem Buch noch nichts gehört.

Wäre IBM eine Firma im jüdischen Besitz, könnten wir uns alle schon auf den nächsten Super-Skandal freuen.

HMB, Berlin, 16.2.2oo1

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