Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
30.01.2001 12:05 +Feedback
“Wie ein leeres Hotel”:Intercontinental in Bethlehem(© Andre Brutmann)
Neunzehn Jahre später, im Sechs-Tage-Krieg, wurde die Familie von den Israelis eingeholt. Da war Jamil 27 Jahre alt und arbeitete als Lehrer in den Schulen der UNRWA. Seitdem sind über 33 Jahre vergangen und in all den Jahren hat er keinen einzigen normalen Tag erlebt. Er hat alle Schikanen der Besatzung erfahren, sein Haus wurde von wildgewordenen Siedlern überfallen, einer seiner Söhne bei einer Demonstration schwer verletzt. Seit Arafat in Bethlehem regiert, ist Jamils Leben auch nicht einfacher geworden. “Früher brauchte ich für alles eine Genehmigung, jetzt sind es zwei.”
Er arbeitet in West-Jerusalem bei einem amerikanischen Verlag und hat eine Erlaubnis, in die Stadt zu kommen, sogar dann, wenn die israelische Armee die palästinensischen Gebiete abgesperrt hat. Aber seinen Wagen darf er nicht mitnehmen, also muss er zu Fuß über “die Grenze”, und es kommt vor, dass sich die israelischen Soldaten einen Spaß daraus machen, ihn wieder zurückzuschicken. Dann zieht Jamil sein Handy raus, ruft den Armeesprecher an und darf nach einem längeren Palaver doch passieren.
“Für die israelischen Militärs hat der Friedensprozess hat noch nicht begonnen. Alle Palästinenser sind Terroristen. Und wer kein Terrorist ist, der ist besonders verdächtig.” Umgekehrt haben auch “die Palästinenser keine Ahnung von Israel”. Sie fordern “eine Rückkehr der Flüchtlinge, als ob Israel ein leeres Hotel wäre, das auf Gäste wartet”; Jamil spricht von einer “Kultur der Selbsttäuschung”: “Ich verspreche meinen Kindern einen Mercedes, kann ihnen aber nicht mal ein Fahrrad kaufen.” Es sei auch nicht erlaubt, “sich zu ergeben, eine Niederlage zuzugeben”. Zeit spielt dabei keine Rolle. “Wenn du nicht gewinnen kannst, dann wartest du ab, bis du in der Lage bist, deinen Gegner zu besiegen. Und wenn es hundert oder zweihundert Jahre dauert.”
Jamil ist jetzt 6o Jahre alt. Er hat drei erwachsene Söhne, die alle studiert haben. Einer lebt in den USA. “Ich habe ihm gesagt: Komm nicht zurück, mach dir dein Leben nicht kaputt. Ich hätte auch gehen und in den USA kluge Bücher über die Kultur und die Geschichte der Palästinenser schreiben sollen, wie unser bekanntester Philosoph Edward Said.” Der war neulich zu Besuch im Libanon und hat aus Solidarität mit den Intifada-Kämpfern Steine über die Grenze nach Israel geworfen. “Er hats den Israelis gegeben”, lacht Jamil, “nur haben die es nicht mal gemerkt”. Und hat wieder Recht.
30.1.2001
© Copyright Henryk M. Broder | Impressum