Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

30.01.2001   12:05   +Feedback

Das Haus des Unfugs - Libeskind ist geil, aber Newton ist geiler

Eine gute Statistik ist schon die halbe Miete. Die Leiterin des Referats “Presse und Öffentlichkeitsarbeit” des Jüdischen Museums Berlin, Eva Södermann, verschickt regelmäßig Presseinformationen über einen Vorgang, der an Absurdität nicht zu übertreffen, aber immer wieder eine Meldung wert ist. In der letzten Aussendung vom 15. Januar hieß es zum wiederholten Mal: “Das Museum ist schon als leerer Bau zum Publikumsmagneten im neuen Berlin geworden”, seit der Eröffnung des Gebäudes im Januar 1999 wären genau 343.337 Besucher gekommen, um sich den “leeren Libeskind-Bau” anzusehen.

Jüdesches Museum Berlin

Schräge Symbolik…

Aktfoto von Helmut Newton

...oder angejahrte Tittenfotos?

Toll. Super. Extrageil. Über 34o.ooo Besucher in zwei Jahren haben sich ein Museum angesehen, in dem es nix zu sehen gibt. Viele haben sich für ein paar Minuten in den “Holocaust-Turm” einschließen lassen und kamen sich, als die Tür hinter ihnen wieder aufging, vor wie die Insassen eines Konzentrationslagers bei ihrer Befreiung durch die Rote Armee. So wird Geschichte emotional vermittelt, so werden aus normalen Deutschen echte Antifaschisten gemacht.

Würde der “Libeskind-Bau” allerdings nicht “Jüdisches Museum Berlin” sondern “Haus des Unfugs” heißen, wäre Berlin um einen Publikumsmagneten ärmer. Denn nur wenn es um Juden geht, wird jeder Stuss zu einer metaphysischen Sensation, ob es nun die “Protokolle der Weisen von Zion” sind oder ein Museum, dessen Erbauer eigentlich eine atonale Oper komponieren wollte, sich aber im letzten Moment für ein Gruselkabinett ohne Klimaanlage, dafür aber mit schrägen Wänden entschieden hat.

Nun versucht es Libeskind auf die gleiche Art noch einmal, und siehe da, statt Begeisterung schlägt ihm Widerstand entgegen, denn diesmal geht es nicht um die Juden und den Holocaust, sondern um einen Zweckbau in Dresden. Eine Wohnungsbaugesellschaft wollte von Libeskind ein repräsentatives Verwaltungsgebäude haben. Libeskind lieferte einen Entwurf, der wie eine Replika des Jüdischen Museums aussieht, nur wesentlich kleiner ist. Die Dresdner Bürger sind aufgebracht, in den Dresdner Zeitungen tobt ein Proteststurm und 18 Dresdner Architekten haben in einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister gegen das Prozedere der Stadt Einspruch erhoben und die Ausschreibung eines Wettbewerbs nach EU-Richtlinien gefordert. Alles Antisemiten, die einem jüdischen Architekten den Erfolg nicht gönnen? Kaum anzunehmen, wohl eher Bürger, die sich nicht verarschen lassen wollen und die zwischen “Sinn” und “Unsinn” unterscheiden können, weil sie weder Schuldgefühle haben noch das Bedürfnis, für ein paar Minuten in die Fußstapfen der Opfer treten zu müssen. Sogar die WELT, die jede Skizze von Libeskind als Ausdruck eines postmodernen Genies zu feiern bereit ist, meldete Bedenken an: Libeskind sei dabei, “den Nimbus seines bekanntesten Baus, des Jüdischen Museums in Berlin, zu demontieren”, denn: “Was in Berlin für eindringliche Symbolik stand, dient in Dresden lediglich dazu, einen banalen Zweckbau… zu bemänteln.”

Doch auch die WELT, die sich im Falle des Dresdner Zweckbaus über die “Dekoration des Banalen” aufregt, hat noch immer nicht gemerkt, dass Libeskind gar nicht zwischen einem Jüdischen (Holocaust)-Museum und einem Verwaltungsgebäude unterscheiden mag, weil er immer schräge Linien zeichnet, egal was gebaut werden soll - er kann nicht anders. Was im Jüdischen Museum mit Symbolik aufgeladen wurde, kann bei dem Firmensitz einer Wohnungsbaugesellschaft nicht funktionieren - kein Mensch würde sich in einem nassen Keller einsperren lassen, um mögliche Baumängel im voraus zu erkunden. Und wo keine Symbolik mit im Spiel ist, da hat es ein Scharlatan schwer, seine Ideen in die Praxis umzusetzen.

Jüdesches Museum Berlin

Libeskind in Berlin

Firmensitz der Wohnbau Nordwest in Dresden

Libeskind in Dresden

Das Jüdische Museum Berlin bleibt vom 1. Februar bis zu seiner richtigen Eröffnung am 9. September geschlossen. Die Ausstellung wird aufgebaut und Frau Söderman überlegt, wie sie den Libeskind-Bau vermarkten soll, wenn er nicht mehr leer steht sondern mit allerlei Exponaten gefüllt wurde. Rückblickend erscheinen die 343. 337 Besucher, die staunend durch den leeren Bau gezogen sind, ziemlich irre aber nicht irre viel. Ein Teil der Besucher dürfte in der Erwartung gekommen sein, ein richtiges Museum zu erleben, und wo sie schon mal da waren, wollten sie nicht gleich wieder gehen. Und die anderen nutzten die Gelegenheit, ihren Phantasien über Juden und Judentum freien Lauf zu lassen, ohne von Artefakten behindert zu werden.

Im übrigen: Die Pablo Picasso / Helmut Newton Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie wurde innerhalb von nur drei Monaten von über 33o.ooo Menschen besucht. Auch das ist ein Rekord. Und es ist ein Beweis für gesunden Menschenverstand, dass Newtons angejahrte Tittenfotos noch immer attraktiver sind als Libeskinds schräge Symbolik.

PS. Im Lufthansa-Magazin vom November letzten Jahres gibt es eine längere Bilder-Strecke über “Götter der Gestaltung” - internationale Stars der Architektur, die “das Bild unserer Welt” prägen. So weit Berlin betroffen ist, werden vier Architekten vorgestellt: Norman Foster, der die Reichstagskuppel gebaut hat, Axel Schultes und Charlotte Frank, die das neue Krematorium entworfen haben (“Ein schlichtes Meisterwerk, das das Schwere deutlich und das Leichte möglich macht”) und Daniel Libeskind, dem mit seinem Jüdischen Museum “ein Monument der Verstörung gelungen” ist. Das Krematorium und das Jüdische Museum werden auf einer Doppelseite zusammen präsentiert. Zwei Meisterwerke der neuen Berliner Architektur, im historischen Kontext auf einen gemeinsamen Nenner reduziert. Man könnte das Jüdische Museum im Krematorium einrichten und das Krematorium im Jüdischen Museum. Nur mal so, zur Probe. Kein Mensch würde es merken. Und den Toten beider Häuser wäre es egal.

HMB, Berlin, 3o.1.2oo1

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