Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
05.05.2001 13:04 +Feedback
In unserer Reihe “Demos, an denen wir schon immer teilnehmen wollten”, berichteten wir heute von der Kundgebung am 1. Mai in Reykjavik:
Während sich die deutsche Arbeiterklasse an diesem ersten Mai wie üblich ins Grüne erbrach und die Berliner Polizei ein paar linke Krawallos durch Kreuzberg jagte, bis das von Innensenator Werthebach vorgegebene Plansoll “Schlimmste Unruhen seit 1o Jahren” erfüllt war, zeigten die isländischen Proletarier, dass sie noch einen klaren Klassenstandpunkt haben und diesen zu vertreten wissen. Obwohl es in Strömen goss, zogen etwa 1ooo Bürger und Bürgerinnen von der Halgrimskirkja durch die Innenstadt von Reykjavik zum Ingolfstorg, um gegen die Nato, den Imperialismus, den Rassismus und den Faschismus im Lande zu demonstrieren. Dabei wurden kubanische und palästinensische Fahnen mitgeführt, eine Schwulengruppe machte sich für “Gay Pride” stark , eine Arbeiterkapelle spielte “When the Saints Go Marchin’ In” und eine Gruppe von Arbeitern aus Thailand forderte “Gleichheit für Einwanderer!” Von der Rednertribüne wurden Texte isländischer Dichter gelesen und gesungen, das Motto der Kundgebung war “Wohlfahrt für alle”, einige Demonstranten gingen noch weiter und forderten: “Island für alle!”
Besonders gut gefiel uns der “Schwarze Block” der isländischen Anarchisten. Die sechs bis acht Teilnehmer hatten sich gut sichtbar am Rande des Platzes positioniert und ein Transparent entfaltet, dessen Aussage wir nur zustimmen konnten: “Fuck the Government!” Unsere Frage, wie viele aktive Anarchisten es in Island gäbe, wurde perspektivisch beantwortet: “Nicht viele, aber es werden immer mehr!” Immerhin haben die isländischen Anarchos schon eine eigene E-Mail-Adresse: .(Javascript muss aktiviert sein, um diese E-Mail-Adresse zu sehen).
Eigentlich wollten wir dann noch ein wenig herumfahren, ein paar Elfen auf dem Lande besuchen und uns den Vulkan Snaefellsjökull anschauen, .wo Jules Verne seine “Reise zum Mittelpunkt der Erde” beginnen läßt. Aber es hörte nicht auf zu regnen; außerdem sind am 1. Mai alle Tankstellen in Island geschlossen (während die Kneipen und Cafes auf sind) und wir hatten nicht mehr viel Benzin im Tank unseres Toyota. Also sind wir in Reykjavik geblieben und haben am Abend auf das Wohl der isländischen Arbeiterklasse mit kubanischem Rum angestoßen, den Hafdis zu Krabben und Lachs auf den Tisch gestellt hatte.
Und so hatten wir einen wirklich schönen ersten Mai in Reykjavik, während in Berlin die wilde Wutz los war. Nächstes Jahr wollen wir mit den Arbeitern auf den Faröern feiern. Oder mit den Eskimos auf den Aleuten.
5.5.2001
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