Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.05.2001   13:03   +Feedback

Sprosser können nicht schluchzen

von Renée Zucker

Gute Nachrichten von Elzie. Sie schreibt, dass sie in Hamburg sehr glücklich ist. Dort gäbe es einfach mehr zu lieben. Schon jetzt liebt sie nicht mehr nur Bernd Begemann, der sie mit seinem letzten Schmachtfetzen: “Ich kann dich nicht kriegen, Kathrin” überzeugte, sondern nun auch noch Jan Delay. Jan Delay ist ein Hip-Hopper, der mit einem Reggaestück einen Hit landete. “Ich möchte nicht, dass ihr meine Lieder singt”, heißt das Lied, das sogar ständig auf kiss fm gespielt wird und in dem so anachronistische wie einleuchtende Zeilen vorkommen, wie “Ich möchte mich nicht in Köpfen befinden - zusammen mit Gedanken - die unter Einfluss vom Axel Springer Verlag entstanden”. Wer, außer Dieter Bohlen, würde das schon wollen. Andere Lieder auf der CD heißen “Söhne Stammheims”, oder “Der böse Mann mit dem kleinen Bart ist noch nicht tot”. Es ist wunderbar entspannender Ragga Style. Man kann dazu auf Barhockern sitzen und Rum-Cocktails trinken oder liegend verbotene Substanzen zu sich nehmen. Eine richtige Sowohl-als-auch-Musik also.

Dass es so was noch gibt, macht Elzie glücklich und mich ebenso. Solange es allerdings in Berlin derart musikalische und listig-kluge Musikanten nicht gibt, müssen wir hier vorerst weiterhin mit dem gemeinen Sprosser (Luscinia luscinia) vorlieb nehmen, jenem osteuropäischen Verwandten der Nachtigall, der pünktlich mit Anbruch des schönen Maiwetters angefangen hat, seine öffentlichen Gesangsübungen abzuhalten. Der Zuhörer fällt fast immer drauf herein: die tiefen, langsamen Töne der Sehnsucht erklingen - leise hören wir die Callas rufen: “Piangi? Perché? Perché? Ah, la fede ti manca!” (Du weinst! Warum?Warum?Ach, dir fehlt der Glaube!) und wenn wir gerade so richtig aufgehen wollen in der entsetzlich traurige Geschichte der unschuldigen Butterfly und dem Mistknochen Pinkerton, da merken wir, dass der Sprosser uns wieder genarrt hat. Der arme Teufel aus Osteuropa kommt einfach über den Nachtigallen-Anfang nicht hinaus. Nur immer wieder:“Piangi? Perché? Perché?” - kein Schiff will sich zeigen, keine Hoffnung auf wiederkehrendes Glück, keine Zuversicht beim Warten, keine süßduftende Verbene… der Sprosser kann nämlich nicht schluchzen! Und das ist doch wohl das Mindeste beim Minnegesang, wo das edle Herz auf seine Fähigkeit getestet wird. Ob es wahrhaftig lieben, oder nur begehren kann. Andererseits könnte er uns auch hierbei wieder narren und eine ganz andere Lektion erteilen.

Vielleicht ist der Sprosser ein Typ wie Frank Zappa: er hat das alles drauf, aber er spielt es nur an. Einer, der mal kurz auf den Knopf für Sehnsucht, Schönheit, Freude und Schmerz drückt und dann den Rest dem Lauschenden überlässt. Guru Henryk fällt dazu sofort ein Talmudzitat ein, wo es zur Freude am Schönen heißt:

“Drei sind ein Vorgeschmack der kommenden Welt; das sind: Schabbath, Sonne und Beischlaf. Drei erheitern eines Menschen Sinn; das sind: eine schöne Wohnung, eine schöne Frau und schöne Geräte.” Nun wollen wir alle mal über “schöne Geräte” meditieren.

Vielleicht kann der Sprosser ja doch schluchzen aber nur die Eingeweihten können es hören.

Ehe als Ereignis

Beim Nachdenken darüber, warum der Talmud den Sabbath, die Sonne und den Beischlaf als Vorgeschmack der noch kommenden Welt betrachtet, während er die hiesigen Sinneserheiterungen in einer schönen Wohnung, einer schönen Frau und vor allem in schönen Geräten sieht - beim vergeblichen Rätseln also, kommt man zwangsläufig von Frühling und Werkzeug auf die Liebe und ebenso unweigerlich auf die Ehe. Denn schließlich: wozu eine schöne Wohnung, wenn man keine schöne Frau sein Eigen drin nennen darf, und was kann schließlich Trost bieten, wenn die Frau irgendwann nicht mehr ganz so schön ist? Natürlich Geräte, die, wenn man sie ordentlich pflegt, gemeinhin auch schön bleiben. Die Ehe, sagt der große Mythenforscher Joseph Campbell, sei die Unterwerfung des Individuums unter etwas Höheres. Sie stelle symbolisch wieder her, was von jeher eins war - zwei Erscheinungsformen desselben Wesens. (Zum tieferen Verständnis dessen, wovon Campbell spricht, lohnt es sich durchaus, die Geschichte vom blinden Seher Teiresias nachzulesen; zu gleichem Behufe wird auch immer wieder gern Platons rollendes Kugelgleichnis genommen.)

In der Liebschaft, sagt Campbell, hat man zwei Leben, die, solange es angenehm scheint, eine mehr oder weniger gelungene Beziehung zueinander unterhalten. In der Ehe dagegen liegt das Leben des Einzelnen in der Beziehung: “Wenn ich ein Opfer bringen muss, bringe ich es nicht dem anderen, ich bringe es der Beziehung, Groll gegen des anderen ist also fehl am Platze”.

Die Ehe ist aber nicht nur ein religiöses Sakrament, sie ist auch und vor allem eine gesellige Angelegenheit. Und überall dort, wo Menschen zusammenkommen, kommt selbstverständlich Freude auf, aber gerade dort läßt auch das Unglück nicht lange auf sich warten. In einem alten, italienischen Film fährt ein frisch getrautes Paar ans Meer. Der Mann ist voller Glück beim Anblick der Wellen. Er tanzt vor Freude. Die Frau kommt aus dem Haus, sieht die Freude des Mannes, wird entsetzlich traurig und sagt.” Schon sind wir zu dritt”. Dieser Situation könnte man vielleicht noch dadurch entgehen, dass man ins Gebirge fährt, aber die Wahrheit, die hier so lapidar und schön zugleich gezeigt wird, bleibt unabänderlich: kein Genuss ohne Reue, keine Zweisamkeit ohne Kränkung. So wie auch die desjenigen, der ein Thema hat, was den anderen nicht unbedingt so fasziniert. Dieser immer wieder aufgekratzte wunde Punkt angesichts der Leere in den Augen des anderen, wenn man mit dem Lieblingsthema anfängt. Bei Männern ist es meistens die gebetsmühlenartige Aufzählung der Weltmängel und der doch auf der Hand liegenden Verbesserungsmöglichkeiten, während Frauen Atmossphäre durch nicht-ergebnisorientierte Erzählungen schaffen. Das macht die Frau sehr afrikanisch. Die Kunst in der Ehe muss jetzt einfach darin bestehen, aus der unumstößlichen Tatsache der Unvereinbarkeit ein beidseitig unterhaltsames Ereignis zu gestalten. Guru Henryk gibt zu, dass der Talmud dafür keinen Rat weiß. Er hält es diesmal seufzend mit Morgenstern: “So wie der Strom ins Meer, so muss der Amor in die Caritas”.

15.5.2001

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