Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.05.2001   13:03   +Feedback

Klons und Katastrophen

von Renée Zucker

In seinen “Fragmente einer Sprache der Liebe” empfiehlt Roland Barthes mit der Angst eines Liebeswahnhaften vor dem Verlassenwerden so vorzugehen wie es der große Analytiker Winnicott im Umgang mit Psychotikern vorschlägt: Der Psychotiker lebt in der Angst vor dem Zusammenbruch (deren Abwehr die verschiedenen Formen von Psychosen bilden), aber es ist die Angst vor einem Zusammenbruch, der schon längst erlebt wurde, und genau dies müsse man dem Patienten klar machen. Barthes schreibt: “Dasselbe scheint auch für die Angst des Liebenden zu gelten: sie ist die Furcht vor einer Trauer, die bereits stattgefunden hat, von Anbeginn der Liebe an, von dem Augenblick an, da ich hingerissen war. Jemand müsste mir sagen können:“Haben Sie keine Angst mehr, Sie haben ihn/sie bereits verloren”.

Kommen wir gleich von hier aus folgerichtig zu den Machenschaften der Zigarettenindustrie. Als in den neunziger Jahren bekannt wurde, dass die amerikanischen Tabacco-Companies jahrzehntelang Untersuchungsergebnisse verschwiegen hatten, die bewiesen, dass Nikotin süchtig macht, da gab es eine Schwemme von Gerichtsurteilen, die die Zigarettenfirmen zu hohen Geldstrafen verknackten. Die Industrie konnte die Millardenbeträge relativ locker wegstecken, weil sie schon längst andere Märkte wie zum Beispiel China entdeckt hatte, wo man sie mit Gesundheitsfragen nicht weiter behelligte. Vor ein paar Wochen veröffentlichte die zur Telekom gehörende T-Mobil mit anderthalb Jahren Verspätung eine Studie, wonach Handystrahlung gesundheitsgefährdend und krebserregend ist. Die Zeitungen meldeten dies auf den bunten Seiten und damit hatte sich die Sache. In den letzten Tagen nun erfuhren wir erstmals aus einem Forschungslabor in New Jersey, dass es bereits seit vier Jahren 30 genmanipulierte Kinder gibt. Sie haben drei Erbgutspender: ihre Eltern und noch eine weitere Frau. Ein Experiment eben. Ebenso wurde veröffentlicht, dass seit mindestens drei Jahrzehnten Samen von allen möglichen Früchten, Gemüsen, Nutz- und Zierpflanzen durch Bestrahlung in Atomreaktoren oder Röntgen- und Gammastrahlen verändert werden. Besonders pikant für Naturkostladenkonsumenten dürfte die Tatsache sein, dass die gute Jute in den siebziger und achtziger Jahren optimal mutiert wurde, während dem ökologisch bewussten Junkie mitgeteilt sei, dass Opium ebenfalls durch radioaktive Bestrahlung klasse mutiert wurde. Das gleiche gilt für Tabak und etliche Getreidesorten, - man möchte gar nicht weiter in die Materie eindringen. Vielleicht empfiehlt sich sowieso, es mit der alten Mutter einer Freundin zu halten: für sie hatte weder der Nationalsozialismus noch das Klimakterium stattgefunden (und sie kann mit der Abwesenheit beider Ereignisse prima leben) oder aber eben mit dem Psychotiker-Eingeständnis, dass es keinen Grund zur Aufregung gibt, weil ja die Katastrophe schließlich schon stattgefunden hat. Guru Henryk fällt dazu natürlich sofort aus den Sprüchen der Väter ein: “Nicht liegt es auf dir, das Werk zu vollenden, aber du bist auch nicht frei, von ihm abzulassen”.

21.5.2001

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