Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
28.05.2001 13:03 +Feedback
Wofür man in Heidelberg scharenweise amerikanische und japanische Touristengruppen einfliegen lassen muss, schafft Weimar , dieser “Naturschutzpark der Geistigkeit”, wie Egon Erwin Kisch zu höhnen pflegte, ganz allein: Schon bei der Vorfahrt auf den Goethe-Schiller-Kant-und-Hegel-Parkplatz möchte man gleich den Geist, der stets verneint, herbei beschwören, “denn alles, was entsteht, / Ist wert, dass es zugrunde geht;”. Einen “Musenwitwensitz” nannte Heinrich Heine 1836 die Stadt, die schon 1924 den ersten jüdischen Bankdirektor davonjagte, und in der Joseph Goebbels beim NSDAP-Parteitag 1926 zum ersten Mal dem Führer verfiel: “Ich danke dem Schicksal, dass es mir diesen Mann gab”. Man weiß gar nicht, wo man zuerst hingehen soll: zur Villa Silberblick, wo Nietzsche seine letzten drei umnachteten Jahre verbrachte und später seine Schwester ihr Unwesen trieb, oder doch lieber zum Hotel Elephant, der Lieblingsherberge des Führers, für den die Suite Nummer 100 stets reserviert blieb.
Stattdessen essen wir erst mal zur Beruhigung vor dem Schillerkaufhaus eine Goethe-Wurst mit echtem Eckermann-Senf. Wir stapfen über Feldwege, die als “Hegelpfad” oder “Kantweg” ins Nichts, höchstens zu Begegnungen mit grün bemützten thüringischen Burschenschaftlern führen. Diese gehen offenbar gern in Gruppen auf Streife in die Natur und haben dabei mal den Bierkrug an oder ein freches Lied auf den Lippen. Am Ettersberg waren sie dann allerdings nicht mehr zu sehen. Dort jubilierten die Vögel so vielstimmig wie nirgendwo sonst. Ja, so muss es gewesen sein, als dem Geheimrat “Über allen Wipfeln ist Ruh’” einfiel! Die Schönheit des Panoramas ist unbeschreiblich. Imre Kertesz hat es im “Roman eines Schicksallosen” ( die Odyssee eines Fünfzehnjährigen, der von Budapest nach Buchenwald deportiert wird) versucht:” Die Luft ist rein, das Auge wird von einer abwechslungsreichen Landschaft erfreut, dem Wald ringsum und den roten Ziegeldächern der Bauernhäuser im Tal. (...) ich kann sagen, auch ich habe Buchenwald lieb gewonnen.”
Hinter dem Tor, das “Jedem das Seine” verspricht, erstreckt sich der riesige Appellplatz mit einem derart idyllischen Ausblick auf Wiesen und Auen, dass einem der Atem stockt. “Suum cuique!”, das Lieblingsmotto Friedrichs I., weil es Freiheit und Toleranz versprach. Wir finden Veilchen. Ein Blumengruß aus Buchenwald. Am Vatertag.
Aus einem der ockergelben Aufseherhäuschen kommt eine blondgefärbte Frau in Zlatkohosen und auf Gummischlappen. Sie hält in der einen Hand eine Kippe und in der anderen eine Leine, an dem ein ebenso aus dem Leim geratener Schäferhund hängt. Sein linkes Ohr fällt herab, das rechte versucht vergeblich sich immer wieder aufzurichten. Was ist nur aus unserer reschen Magda Goebbels und der stolzen Blondie geworden?
Guru Henryk gesteht, dass ihn Buchenwald leider immer an eine verpeilte Pointe erinnert. Er saß mit CDU-Meyer in einer Talk-Show, der auf die Frage, was für ihn typisch deutsch sei, “Eichenwald” sagte. Guru Henryk, offenbar gerade nur halb erleuchtet, dafür irgendwie abwesend, kam einfach nicht bis Buchenwald.
28.5.2001
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