Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
14.05.2001 13:03 +Feedback
Auf diesen Tag haben die Sängerinnen vom “Reykjaviker Frauenchor für leichte Musik” lange gewartet und viel geübt. Jetzt stehen sie in langen roten Samtkleidern am Eingang zum “Kramhusid” und singen “Besame Mucho”, so kräftig und hingebungsvoll, dass der Song noch drei Straßen weiter zu hören ist. Das “Kramhusid” ist eine private Tanzschule, hier kann man und frau “Salsa”, “Argentinskur Tango”, “Modern-Jass”, “Hipp Hopp”, “Breakdans” und “Power-Yoga” lernen. Es ist sozusagen das multikulturelle Zentrum der isländischen Hauptstadt. Die Isländer produzieren und verbrauchen - pro Kopf - nicht nur mehr Literatur als jedes andere Volk in Europa, sie sind auch vollkommen verrückt nach Musik. Und deswegen wird im “Kramhusid” schon mittags gefeiert, eine Party zu Ehren der “Buena Vista Social Club”, die zwei Konzerte in Reykjavik geben. Etwa 2oo Besucher, fast nur Frauen, singen und tanzen, während die Kubaner, völlig geschafft von der langen Reise, still am Rande des Saales sitzen und dem wilden Treiben der Isländer zuschauen. Mag sein, dass Ruben Gonzales, der Pianist, Ibrahim Ferrer, der Sänger, und Omara Portuondo, die Sängerin, nicht genau wissen, wo sie gerade sind, aber sie sollen wissen, dass sie willkommen sind. “Wir sind der größte Fan-Club der Buena Vista auf Island!” schreit Hafdis Arnadottir, 62, die Chefin des “Kramhusid” in den Partylärm, “wir sind so glücklich, dass sie hier sind!”
Und dann fordern die Frauen die Gäste aus Kuba zum Tanz auf, drehen sich mit ihnen im Kreis über den Parkettboden und genießen ihr Glück. Am Abend zeigen dann die Kubaner, was sie können. Sie spielen zweieinhalb Stunden ohne Pause und drei tausend Isländer rasen vor Begeisterung - in der “Laugardalshöll”, einer Sporthalle, die so hässlich ist, dass sie sogar noch in Rostock auffallen würde. Aber darauf kommt es nicht an. Was zählt, ist: sie sind da und sie spielen. Ruben Gonzales kann kaum noch gehen, er muss auf die Bühne geführt werden, doch wenn er am Klavier sitzt, fliegen die Finger über die Tasten, als käme er gerade von einer Frischzellenkur. Auch Ibrahim Ferrer und Omara Portuondo sind älter geworden, doch im Duett wirken sie wie ein junges Liebespaar, das sich eben gefunden hat. Die Kubaner schmachten und die Isländer schmelzen. Musik kennt keine Grenzen und die isländisch-kubanische Symbiose findet direkt unter dem Polarkreis statt.
Dabei sind die Buena Vista Social Club natürlich nicht mehr das, was sie einmal waren. Aus den fröhlichen Schmuddelkindern, die in den Straßen und Höfen Havannas musizierten und glücklich in der Armut lebten, ist ein Exportartikel geworden, der Devisen in die Staatskasse bringt. Die 15köpfige Band wirkt wie eine karibische Variation der Glenn-Miller-Orchestra und tritt auch so auf: altmodisch gediegen, ohne die inzwischen üblichen Effekte und Mätzchen. Der “Bandleader” trägt eine weiße Smoking-Jacke und stellt seine Truppe bei jedem zweiten Titel als “Swing Band Buena Vista Social Club” vor. Mit dem Namen ist auch das Repertoire größer geworden. Sogar “Over the Rainbow” gehört dazu, die Isländer sind Enthusiasten, aber keine Puristen, und singen mit.
Nach dem Konzert treffen sich wieder alle vor der Sporthalle, die Mädels vom Reykjaviker Frauenchor für leichte Musik, Hafdis Arnadottir mit ihren Freundinnen vom “Kramhusid” und Asbjörn Morthens, 44, genannt “Bubbi”, Islands populärster Sänger, das männliche Gegenstück zu Björk. 198o machte er seine erste LP (“Icebear Blues”) über das harte Leben der Fischer und der Arbeiter in den Fischfabriken, nachdem er einige Jahre in der Fischindustrie gearbeitet hatte. Seitdem hat er 3o Alben produziert. Dass die Buena Vista Social Club in Island gastieren, ist seine Schuld oder sein Verdienst, denn er hat die Kubaner für die Isländer entdeckt.
1991 ist er von Reykjavik über London nach Havanna geflogen (“15 Stunden mit einer Aeroflotmaschine, kein Essen, keine Drinks”), um mit kubanischen Musikern eine Platte aufzunehmen. “Castro war damals mein Idol und Kuba das musikalische Paradies.” Er fand in Havanna 14 Musiker, gab 12.ooo.- Dollar aus und spielte eine CD ein, die er “Von” (Hoffnung) nannte und die sich unerwartet gut verkaufte. “Über 1o.ooo Exemplare in ein paar Wochen.” Zum ersten Mal hatte es einer gewagt, isländische Texte mit kubanischen Melodien zu mischen.
Damals gab es die Buena Vista Social Club als Gruppe noch nicht, dafür eine Band mit dem Namen “Sierra Maestra”, in der ein paar Musiker spielten, die später bei Buena Vista mitmachen würden. Im Winter 1992 holte “Bubbi” die 12 Musiker der “Sierra Maestra” nach Island. “Ich schleppte sie an Orte, wo die Leute noch nie einen schwarzen Menschen gesehen hatten.”
Nach neun Konzerten in 14 Tagen wussten die meisten Isländer, wie echte Kubaner aussehen und wie sich kubanische Musik live anhört. Auch die “Sierra Maestra”-Leute waren am Ende der Tournee um eine Erfahrung reicher. “Sie sagten: Wir kommen gerne wieder, aber nie mehr im Winter.”
Nun, neun Jahre später, sind von der “Sierra Maestra”-Truppe nur noch zwei Musiker dabei. “Buena Vista Social Club ist heute ein nationales Projekt, eine Fabrik für kubanische Kultur”, sagt “Bubbi” ein wenig ernüchtert, es würde ihn nicht wundern, “wenn mehrere Gruppen zugleich unterwegs wären”. Dennoch, das Konzert war “toller als ein Erdbeben”. Es gäbe nur eine kubanische Gruppe, die noch besser wäre: “Die alte Sierra Maestra, mit der ich gespielt habe.”
14.5.2001
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