Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

11.06.2001   13:03   +Feedback

Tote und lebende Päpste

von Renée Zucker

Wir scheinen in Rom aber auch wirklich alles wesentliche verpasst zu haben. Zuerst die versammelte internationale 155köpfige Kardinalsschaft, die nur wenige Minuten, nachdem wir den Vorraum zum Himmelreich verlassen hatten, mit dem Chef daselbst den Petersdom betraten. Wahrscheinlich waren wir unkonzentriert, sonst hätten uns die vielen Gläubigen mit den erwartungsvoll leuchtenden Augen zeigen müssen, dass irgend etwas besonderes im Schwange war. Diese Unaufmerksamkeit war der Enttäuschung geschuldet, die uns vorher auf der Via Condotti überfallen hatte. Dort, wo sich Mode und Eleganz immer als zu vereinbarende Gegensätze präsentieren konnten, hatte inzwischen auch mit Hilfe von Prada und Gucci die ästhetische Umweltverschmutzung Einzug gehalten. Die kleine Italienerin rannte dort zuhauf und wie ihr eigenes Klischee herum: Die Sonnebrille mit den breiten Bügeln und den draufgepappten Blechgoldinsignien hoch ins gelb gefärbte Haar geschoben, Grün- und Schlammtöne am Körper und alle die gleichen geschmacklosen Schuhe mit den Donald-Duck-Maul-Spitzen. Bei der Jugend jetzt sehr beliebt: der Sneaker als Badeschlappen. Wo hatte sich nur Anna Magnani verkrochen? Voller Kummer darüber also in den Petersdom - wo man zu allem Überfluss auch noch den jugendlichen Michelangelo-Christus verhüllt hatte - darüber noch mehr verstimmt, gleich wieder raus und damit den Auftritt des Chefs und seiner Vorstandsetage verpasst. Den noch lebenden Chef.

Einen seiner toten Vorgänger fuhren sie ja dann im gläsernen Sarg durchs staunende Publikum. Das schönste an dieser Nachricht: die Schuhe, die er anhat, sind schöner als alle Modelle in der Via Condotti! Auch davon wussten wir wieder nichts. Kein Römer hat uns Bescheid gesagt. Vielleicht, weil nur die wenigsten Italiener und erst recht nicht die Römer religiös sind. Vielleicht war ihnen dieser doch etwas Primitivkulturelle, geradezu heidnisch anmutende Vorgang vor uns Nordeuropäern hochnotpeinlich. Was sollen die nur von uns denken: Erst lassen sie einen verurteilten Betrüger Präsident werden, dann einen Kommunisten Hauptstadt-Bürgermeister und nun zeigen sie ständig eine 38 Jahre alte Leiche rum. Wir wissen nicht, ob der Italiener das Märchen von Schneewittchen kennt. Ob er weiß, dass man den Sarg nur mal ordentlich ruckeln muss, bis dem Papst das vergiftete Apfelstückchen aus dem Mund fällt, er den Prinzen heiraten kann und dann alles wieder in Ordnung ist.

Dieser wunderbarste aller Päpste, der kurz bevor er starb, jenen luziden Traum hatte - er erzählte seinem Sekretär, er sei doch tatsächlich in der Nacht bei Gott gewesen. “Und?” fragte der Sekretär ganz gespannt? “Wie war es? Wie sah Gott aus?” Johannes XXIII. lächelte vergnügt. “Er trug einen Tallit”, sagte er - jener Papa buono also, der Gott im Traum mit dem jüdischen Gebetsmantel antraf - ausgerechnet er soll es schön finden, wie eine Figur aus Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett durch die Straßen Roms gezogen zu werden? Und derweil wettern in Berlin die katholischen Kirchenvertreter gegen die Körperwelten-Ausstellung. Guru Henryk fällt dazu naturgemäß außer “andere Baustelle” gar nichts ein.

11.6.2001

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