Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.06.2001   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Rafael Seligmann

Musterjude und Musterdeutscher,räumt mit der neudeutschen Bescheidenheit auf

Rafael Seligmann - klicken zum Vergrößern

“Man soll keine Dummheit zweimal begehen”, hat Sartre mal gesagt, “die Auswahl ist schließlich groß genug”. Das gilt auch für den “Schmock der Woche”. Es gibt genug Kandidaten, die nur darauf warten, aufgerufen zu werden. Deswegen grenzt es an Verschwendung, den “Schmock der Woche” zum zweiten oder sogar dritten Mal an Rafael (Raffi) Seligmann zu verleihen, den Publizisten und Schriftsteller, dessen Romane sich wie Leitartikel lesen und dessen Leitartikel so klingen wie ein Text von Jürgen Drews, der sich nicht reimt. Aber es muss sein. Raffi hat sich mit einem “Gastkommentar” in der Welt (“Lass dein Grämen und dein Schämen”) sogar für höhere Weihen qualifiziert, den “Schmock des Jahres”, den er nur deswegen vorerst nicht bekommt, weil es sein könnte, dass Artur Brauner oder Rolf Eden in diesem Jahr noch was Bemerkenswertes von sich geben.

Raffi also, der sich vor kurzem vergeblich darum bemüht hat, in die Repräsentantenversammlung (das Parlament) der Berliner jüdischen Gemeinde gewählt zu werden, hat die Niederlage schnell überwunden und tritt wieder an, diesmal als “Praeceptor Germaniae”. Man könnte auch sagen, der “Musterjude” folgt dem Beispiel von Dr. Jekyll und Mr. Hyde und mustiert zum “Musterdeutschen”. Denn wo alle von deutscher Leitkultur, deutscher Identität, von Patriotismus und Deutschlands Rolle in der Welt reden, da will Raffi mit dabei sein, und zwar möglichst an der Spitze der Bewegung, obwohl er doch nur ein Trittbrettfahrer ist, der einen Zug besprungen hat, der sinnlos im Kreis herumfährt.

Raffi wendet sich gegen “das Mantra der so genannten neudeutschen Bescheidenheit” und will, dass Deutschland “eigenständige außenpolitische Interessen” mutig vertritt, statt sich “hinter den Rockzipfeln von Frankreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten zu verbergen”. Denn wir sind wieder wer und haben es nicht nötig, uns kleiner zu machen als wir sind: “Deutschland ist der bevölkerungsreichste Staat Europas. Wir besitzen die größte Volkswirtschaft und sind eine erstrangige Exportnation. Die Vertretung außenpolitischer Interessen ist für unser Land legitim und existenziell. Deutschland hat seine Wiedervereinigung mit Milliarden nach Russland und dem Euro nach Westen erkauft. Die Osterweiterung der EU liegt in unserem Interesse. Doch wir dürfen auf die Dauer nicht der alleinige Zahlmeister Europas sein.”

Raffi zeigt den Deutschen, wo der Bartel den Mist holt. Dabei dreht er das ganz große Rad, fährt in 8o Zeilen um die ganze Welt. Gleich 15 mal sagt er “wir Deutschen”, “unsere Interessen”, “unser Land”, “unser Vaterland” und ähnlichen Stuss, nur weil “unser Raffi” so gern einen Platz am Fenster haben möchte, falls das neue Deutschland eines Tages wieder Sonderzüge auf die Reise schickt. Raffi sorgt vor, obwohl er seine Platzkarte längst in der Tasche hat.

Doch in der letzten Welt-Kolumne überholt er sich selbst. Von der “größten Volkswirtschaft” und der “erstrangigen Exportnation” schlägt er einen weiten Bogen bis nach “Anatolien”. Und so wie Theo Sommer (der Onkel von Arianne) früher immer darüber schrieb, was “hinter den Karawanken” passiert, räsonniert Raffi über die Zustände am Bosporus:

“Die türkische Demokratie ist wackelig… Will Berlin Ankara in das nahöstliche Chaos abdriften lassen? Oder sollen wir versuchen, die Türkei zu stabilisieren und nach Europa zu ziehen?”

Gute Frage, Raffi, sag UNS bitte nur noch, was WIR mit dem Rest des Tages machen sollen, sobald WIR die Türkei stabilisiert haben. WIR könnten zum Beispiel den Konflikt zwischen den Israelis und den Palästinensern lösen, denn: “Unabhängig von Hitler und der deutschen Vergangenheit haben wir reale Interessen in dieser Weltgegend.”

Unabhängig von Raffi und der deutschen Gegenwart hätte Karl Kraus für einen solchen Satz den sofortigen Vollzug der Prügelstrafe gefordert, doch Raffi hat Glück, Karl Kraus ist tot, die Prügelstrafe abgeschafft und so kann er zu einer rasanten Fahrt ins Ziel ansetzen, wo schon solche Größen wie Merkel, Merz, Meyer, Stoiber, Gauweiler und Walser Platz genommen haben: “Es ist Zeit, dass wir Deutschen aufhören, mit unserer Bescheidenheit zu kokettieren… Wir sind aus Ruinen auferstanden und haben eine blühende Volkswirtschaft aufgebaut. Wir haben eine vorbildliche Demokratie entwickelt. Unser Vaterland hat friedlich zusammengefunden.”

Ganz zum Schluss, berauscht vom eigenen Schwung, dreht Raffi vollkommen durch und zitiert Heinrich Heine, dem er sich so verbunden fühlt wie Alice Schwarzer der Emma Goldman und Pastor Fliege dem lieben Gott. “Lass dein Grämen und dein Schämen! Werde keck und fordere laut, und man wird sich dir bequemen, und du führest heim die Braut.”

Den Rat hat Heine nicht den Deutschen an sich, sondern den deutschen Juden gegeben, die sich zu seiner Zeit so durch das Leben duckten, wie es die Juden noch immer tun, wenn sie “wir” und “uns” sagen, um der arischen Mehrheit zu beweisen, dass sie die besseren Deutschen sind. Und über unseren Raffi hat Heine auch was geschrieben, einen Vierzeiler, wie maßgeschneidert für einen stolzen Deutschen mosaischen Glaubens, der seine Mitbürger auffordert, sie sollten aufhören, mit ihrer Bescheidenheit zu kokettieren:

“Im lieben Deutschland daheime, da wachsen viel’ Lebensbäume; doch lockt die Kirsche noch so sehr, die Vogelscheuche schreckt noch mehr.”

HMB, 1o.6.2oo1

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