Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

15.07.2001   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Roger Willemsen: Ein Würstchen möchte eine Salami werden

Roger Willemsen

Es passiert relativ selten, dass mich mal einer oder eine anruft, nur um zu fragen, wie es mir geht, ob ich noch genug Butterkekse, Vitamin-C-Tabletten und Abfalltüten daheim habe. Deswegen bin ich für jede Sympathiekundgebung dieser Art wirklich dankbar. Und wenn sich ein promovierter deutscher Akademiker, ein TV-Star gar, um mein Wohlergehen und meine Kreativität sorgt, dann bin nicht nicht nur dankbar, ich bin gerührt.

Letzte Woche kam ich ziemlich fix und fertig von einer Reise nach Polen zurück, der Kühlschrank war leer, die Waschmaschine voll, eine Depression kündigte sich an; da setzte ich mich und blätterte, wie immer in solchen Momenten, in den Zeitungen, die sich angesammelt hatten. Ganz oben auf lag “Die Woche” und ganz hinten auf der letzten Seite der Woche wartete Roger Willemsen darauf, nicht gelesen zu werden. Er schreibt eine Kolumne, wie man sie älteren Herren gibt (z.B. Erich Böhme in der Berliner Zeitung), die eigentlich schon aufgehört haben, aber nicht ganz aufhören mögen. Sie dürfen dann übers Leben räsonnieren und darüber, was sie so alles erleben, wenn sie im Speisewagen des Intercity “Götz von Berlichingen” von Bad Wörrishofen nach Bad Oeynhausen rollen.

Diesmal hatte sich Willemsen ein wirklich wichtiges Thema vorgenommen: mich. Unter der kursiven Überschrift Abwärts notierte er:

“Henryk Malefiz Broder ist der Selbstauflösung in Belanglosigkeit einen Schritt näher gekommen. Lange schon ist ihm kein nennenswerter Text mehr gelungen, und er muss, beim Versuch, die Welt auf das maß der eigenen Vitalverstimmung zu bringen, immer tiefer greifen. Jetzt aber vollbrachte er im Tagesspiegel das Wunder, eine Sendung zu rezensieren, bei der er eingeschlafen war. Gut fand er die Sendung nicht, denn ein Broder schläft selbst auf höherem Niveau, als er schreibt.

Umso verschnarchter die Kritik: Die Sendung seiner Wahl läuft seit vielen Wochen und wird von niemandem mehr gesehen, geschweige denn rezensiert. Sie heißt “Big Diet”, hat aber ihre Verdienste um Broder, verhilft sie ihm doch zu dem Prädikat “Neu”: Henryk M. Broder: jetzt noch klüger als Jenny Elvers! Demnächst auch als “Big Broder - Schreib, so wie du dich fühlst!”

Das fand ich ganz witzig, vor allem gefielen mir die “Vitalverstimmung” und die Bewertung: “Broder schläft auf höherem Niveau als er schreibt.” Andersrum wäre es bedenklich gewesen. Vor allem aber gefiel mir, dass Roger sich um mich sorgt. Jeden Morgen steht er auf und fragt sich: “Hat Broder endlich was Nennenswertes geschrieben?” Und sein letzter Gedanke am Abend, bevor er sich in die Gesamtausgabe von Rosamunde Pichler kuschelt, ist: “Werde ich morgen etwas Nennenswertes von Broder zum Lesen finden?” Und weil er schon lange nichts findet, muss er selber zur Feder greifen. Oder in der Gegend rumtalken, über ganz wichtige Themen mit ganz wichtigen Menschen. Fürs ZDF produziert er die Reihe “Gipfeltreffen”, ursprünglich sollte die Serie “Roger Dir einen!” heißen, dann sollte es eine Personality-Show unter dem Titel: “Wer schläft zuerst ein? Ich oder meine Füße?” werden, dann wurde lange und heftig über den Titel “Ein Würstchen möchte eine Salami werden” diskutiert, bis man sich endlich auf “Gipfeltreffen” einigte, ein Wort, das beliebig gedeutet werden kann. “Das ist ja der Gipfel!” heißt auch: “Das ist ja das Allerletzte!”

Und Rogers “Gipfeltreffen” ist das Allerletzte. Würde Hans Meiser die Reste seiner mißglückten Anmoderationen zusammen kleben und ein paar Gäste dazwischen schneiden, käme etwas Ähnliches heraus. Willemsens größte Tugend liegt darin, dass er noch nie eine Dokumentation von Eberhard Fechner gesehen hat und deswegen glaubt, er wäre ein Filmemacher, während er in Wirklichkeit eine haspelnde Plaudertasche ist, das missing link zwischen Alfred Biolek und Andreas Türck.

Allerdings mit einem seltsamen Hang zum Höheren. Das heißt zu sich selber. Weswegen er immer dann besonders sensibel reagiert, wenn es um ihn geht. In der Geschichte über Big Diet und Jenny Elvers kam nämlich auch Roger Willemsen vor. Was er den lieben Woche-Lesern natürlich nicht mitteilt. Für alle, die den Text im Tagesspiegel am 26. Juni nicht gelesen haben, hier ist er:

“Zugegeben, es war ein warmer und schwüler Tag, ich hatte einen Heuschnupfenschub und war ziemlich matt. Dennoch: So schnell bin ich lange nicht mehr vor dem Fernsehen eingeschlafen. Kaum hatte Jenny Elvers ihre erste Moderation fertig, schlummerte ich schon in einer besseren Welt, in der dicke Menschen nicht vor die Kameras gezerrt, Blondinen in Würde alt und grau und die Zuschauer nicht von Dilettanten gemartert werden. Und als ich dann aufwachte, stand Jenny Elvers immer noch vor der Kamera, kreischig wie Inge Meisel, o-beinig wie John Wayne, und quälte sich durch die Abmoderation. Und da wurde mir klar, wie recht Al Bundy mit seinem Satz hatte, manche Albträume würden erst nach dem Aufwachen anfangen. Was hatte ich nur verpasst? Gespräche mit dicken Menschen über das Dicksein, das Abnehmen und das Leben nach dem Essen? Eine philosophische Runde über die Freuden des Mutterseins mit Jenny und Ramona? Oder einen Auftritt von Alice Schwarzer, die bei Kerner mit Verona Feldbusch über die Frauenbewegung diskutieren will? Das wäre übrigens meine absolute Traumcombo: Elvers, Feldbusch, Schwarzer, moderiert von Ralf Morgenstern oder Wolfgang Joop, live aus der Sauna. Ein echtes Gipfeltreffen sozusagen. Aber das gibt es schon. Eine Stunde nach ihrer Show bei RTL 2, meinem Lieblingssender, trat Jenny Elvers unter dem Pseudonym Roger Willemsen im ZDF auf. Am Rande waren da noch Herbert Grönemeyer und Paul Spiegel, die sich in einer rheinischen Raststätte zu einem Selbstgespräch trafen. Und da wurde mir das Wesen der Relativitätstheorie klar: Man soll den Fernsehabend nicht vor dem Ende besprechen, es kann immer noch schlimmer kommen. Wo Jenny ist, kann Roger nicht weit weg sein. Nächsten Sonntag wird er Big Diet moderieren und keiner wird Jenny vermissen.”.

Gut lesen kann unser Roger schlecht, aber schlecht meckern kann er prima. Und deswegen bekommt er, das Sensibelchen vom Lerchenberg, den Schmock der Woche verliehen. Für sein Gesamtwerk, einschließlich aller “Gipfeltreffen”, die er uns nicht ersparen mag.

HMB, 15.7.2oo1

Permanenter Link

Uncategorized