Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

23.07.2001   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Franz-Josef Wagner, Kolumnist und Fachmann für das Privateste und Persönlichs

Als Franz-Josef Wagner noch Chefredakteur der BZ war, produzierte er die schönsten Titelzeilen der Berliner Presselandschaft: “Bein gebrochen, Urlaub im Ar…”, “Sie verliebte sich in den Falschen, Kehle

Schmocks Imbisshütte

durchgeschnitten”, “Als Hund hast du in Berlin nichts mehr zu lachen”, “Der Wirt mit den besten Kohlrouladen der Stadt vom letzten Gast erschlagen”, “Berlins Polizeipräsident schlägt Kampfhund nieder”, “Kann sich der Kanzler auf Mallorca nicht mehr waschen?”, “Berliner empört: Wofür brauchen Obdachlose ein Handy?”, “Die 1oo schmutzigsten Läden Berlins”; unter Wagners Führung wurde die BZ zum Zentralorgan des Neo-Dadaismus; obwohl oder weil sie die Interessen der Rentner, Schrebergärtner und Hundehalter artikulierte. Daneben kam auch die bessere Berliner Gesellschaft ausgiebig zu Wort, was praktisch bedeutete, dass fast in jeder Ausgabe Rolf Eden, Udo Walz und Gräfin Hardenberg vorgeführt wurden. Wagner machte Bouletten-Journalismus und servierte dazu Aldi-Champagner. Und wenn er dann abends bei Lutter und Wegner oder in der Paris Bar saß und sein Weltschmerz-Gesicht aufgesetzt hatte, wussten alle: Heute war ihm wieder eine ganz besonders schöne Zeile eingefallen.

Doch eines Tages wurden bei Springer die Karten neu gemischt. Georg Gafron, mit der Leitung des Radiosenders Hundertkommasechs und des Fernsehsenders tvberlin noch nicht ausgelastet, übernahm die BZ und Wagner wurde zum Kolumnisten befördert, der allen Menschen, die noch nie in der Paris Bar waren, erklärt, woher der Wind bläst. “Wagners Welt” heißt seine Kolumne in der “Welt am Sonntag”, die schon deswegen eine prima Zeitung ist, weil es sie bei der Lufthansa umsonst gibt.

Vorletzten Sonntag nahm sich Wagner eine werdende Mutter vor. Der Titel seiner Kolumne verriet eine solide Sachkenntnis gepaart mit viel Einfühlungsvermögen: “Als Steffi Graf als Schwangere kotzte”. Man konnte meinen, Franz-Josef habe der Steffi das Eimerchen gehalten und dann aus dem Inhalt seine Kolumne zusammen gerührt. Aber schon im ersten Absatz gab Wagner zu, dass er nur Spekulationen anstellte:

“Mir liegen leider keine exklusiven Kenntnisse darüber vor, ob Steffi Graf heute morgen mit Heißhunger auf Erdnussbutter oder auf süß-saure Gurken in oder außerhalb Agassis Armen erwachte…” Wagner dagegen wachte mit dem dringenden Bedürfnis auf, seine Morgenlatte literarisch zu veredeln. Also richtete er sich ganzkörperlich auf und haute der Klatschpresse eine runter. “Steffis Busen sei schon um eine Körbchengröße gewachsen, informieren uns die gynäkologischen Fachredaktionen und ihr Bauch um 2o cm angeschwollen… Ihr Baby im Bauch ist höchster Unterhaltungswert. Das Privateste, Persönlichste wird zum öffentlichen, gynäkologischen Stuhl. Da liegt Deutschland-Steffi nun, bis ihr Baby kommt, mit gespreizten Beinen.”

Und WamS-Wagner hockt vor ihr, schaut in einen Abgrund aus Erdnussbutter und süß-sauren Gurken und reibt sich das Hörnchen, oder, wie Ulrich Wickert es sagen würde: er schmiert sich Creme Fraiche auf sein Croissant.

Es dauerte genau eine Woche, bis Wagner wieder zu Sinnen kam. Letzten Sonntag schrieb er “67 Zeilen über das Schreiben”. Gleich im ersten Satz streute er sich Asche aufs Haupt: “Oft, ich muss es leider gestehen, schreibe ich schlecht. In verkrampften Händen erstrahlen keine Worte.”

Gut beobachtet, Franz-Josef. Aber warum so zurückhaltend, wenn alle wissen, was gemeint ist? Nicht einmal Wagner kann zugleich schreiben und wichsen, denn wenn das Händchen schlapp macht, geht den Worten die Luft aus. Aber für den Schmock der Woche reicht es noch allemal, wenigstens für ein Schmöckchen.

HMB, Berlin, 23.7.2oo1

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