Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.07.2001   13:03   +Feedback

Fish ‘n Chips unter Palmen

In unserer Reihe “Orte, die niemand kennt”, besuchen wir heute die britische Insel Alderney im Ärmelkanal vor der französischen Küste.

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Wer sich noch an den Film “Die Maus, die brüllte” erinnern kann, der fühlt sich auf Alderney gleich heimisch. Der gleiche Hafen, die gleichen Straßen, die gleichen Pubs und vor allem: die gleichen Menschen, leicht skurril und dabei sehr freundlich, durch und durch britisch aber doch anders, beinah mediterran. Denn Alderney liegt viel näher bei Frankreich als bei England, hat ein mildes Klima und eine subtropische Vegetation. Mitten im Kanal wachsen Palmen und andere exotische Pflanzen.

Der größte Vorzug der Insel ist ihre Überschaubarkeit. Knappe sechs Kilometer lang und an der breitesten Stelle gut zwei Kilometer weit, kann man praktisch überall zu Fuß hingehen. Vom Flughafen in die “Hauptstadt” St. Anne braucht man keine zehn Minuten. Genauso lange dauert es, die ganze Insel mit dem Auto zu umrunden. Man kann Fish ‘n Chips bestellen, eine Runde fahren, und sitzt wieder am Tisch, wenn das Essen kommt.

Alderneys wahre Größe misst sich nicht nach Meilen. Die Insel gehört zum United Kingdom, untersteht aber der Krone, nicht dem Parlament.

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Außen- und Verteidigungspolitik wird in London gemacht, alles übrige besorgen die rund 2.4oo Insulaner selber. Alderney ist autonom, der Inselhäuptling (de facto der Bürgermeister von St. Anne) trägt den Titel “President of the States”, die zehn Gemeinderäte nennen sich “Members of the States of Alderney”. Alle zwei Jahre werden fünf von ihnen neu gewählt, was praktisch dazu führt, dass jeder mündige Bürger der “States of Alderney” im Laufe seines Lebens einmal an der Reihe ist.

Ein weiterer Vorzug von Alderney liegt darin, dass es keinen regulären Fährverkehr gibt, weder nach England, noch nach Frankreich, noch zu den anderen Kanalinseln. So bleibt die Insel vom Massentourismus verschont, Besucher kommen mit kleinen Propellermaschinen, die maximal sechzehn Passagiere fassen. Man kann auch eine Passage auf einem Frachtschiff von Guernsey aus buchen, aber das fährt nur zweimal in der Woche und die Überfahrt dauert, je nach Wind und Wetter, bis zu drei Stunden. Kapitän Jeff, der auf dem 1ooo-Tonnen-Frachter “Burhou 1” alles auf die Insel schafft, was die Einwohner zum Leben brauchen, freut sich über jeden Gast auf der Kommandobrücke, mit dem er schwatzen kann, während der Autopilot das Schiff steuert.

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Alderney hat auch eine dunkle Seite, die Insel trägt ein düsteres Geheimnis mit sich. Während des Krieges waren die Kanalinseln von den Deutschen okkupiert, die unbedingt ein Stück Großbritannien besetzen wollten, um die Briten zu demütigen. Die waren freilich schlau genug, den Teutonen den Spaß zu verderben, zogen ihre Truppen ab und schickten eine Botschaft nach Berlin, die Inseln wären entmilitarisiert. Was die Wehrmacht-Helden freilich nicht davon abhielt, vor der Anreise schnell noch ein paar Bomben abzuwerfen. Alderney wurde komplett evakuiert, so dass die deutschen Gäste ein leeres Gelände vorfanden, das sie nach ihrem Geschmack gestalten konnten. Noch heute kann man die gut erhaltenen Überreste des German Anti-Tank Wall in der Longis Bay besichtigen, ein Bauwerk, das den gleichen Charme verbreitet wie die Berliner Mauer; nicht weit davon stehen der German Fortress Kommandant’s Bunker, der Hospital Bunker und der German Artillery Kommandant’s Bunker. Am schönsten und am besten erhalten ist der German Fire Directory Post, ein dreistöckiger Betonturm im späten Bauhaus-Stil, mit runden Ecken und schmalen Sichtschlitzen, auf einem Hügel über dem Leuchtturm an der Cats Bay gebaut. Damit sich die Nazis auf der entvölkerten Insel nicht langweilten und sie jemand hatten, den sie herumkommandieren konnten, holten sie ein paar tausend Zwangsarbeiter aus ganz Europa nach Alderney und ließen sie all die Bunker, Wälle und Kommandoposten bauen, mit denen die Deutschen die Briten für immer und ewig abschrecken wollten. Die Zwangsarbeiter wurden in Lagern untergebracht, die deutsche Namen trugen: Lager Borkum, Lager Helgoland, Lager Norderney, Lager Sylt.

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Denn auch Alderney ist eine Insel und wie die deutschen Inseln von Wasser umgeben. So was verbindet. Heute leben ein paar Deutsche auf Alderney, freiwillig und ohne aufzufallen. Wie Ilona Soane-Sands, die in München geboren wurde, in Italien einen Engländer kennen lernte, mit ihm zuerst nach London und dann nach Alderney zog. Seit 11 Jahren lebt das Paar auf der Insel und will “nie mehr weg”. Er dreht Reportagen fürs Fernsehen, sie arbeitet als “Public Affairs & Marketing Manager” für die “States of Alderney” und wird für ihre Arbeit bezahlt, während der “President” und die “Members of the States” ihre Jobs ehrenamtlich leisten. Zur Zeit hat Ilona besonders viel zu tun. Die Regierung von Alderney hat sechs Lizenzen für “Virtual Casinos” ausgeschrieben, die ersten Internet-Kasinos in Europa, die nicht im Off-Shore-Zwielicht sondern ganz legal arbeiten sollen. Jede Lizenz wird 75.ooo Pfund pro Jahr kosten, das macht 45o.ooo Pfund, eine Menge Geld für eine kleine Insel. Seit 1999 existiert bereits eine “Gambling Commission”, die dafür sorgen soll, dass nur seriöse Bewerber eine Lizenz bekommen. “Wir wollen hier keine Mafia und keine Geldwäscher haben”, sagt Ilona. Dass auch die Zocker daheim bleiben und ihre Einsätze online erledigen, macht die Sache noch angenehmer. Und damit die Leute von Alderney immer nur gewinnen, hat ihnen die Regierung den Besuch der “Virtual Casinos” schon vor dem Start vorsorglich verboten.

HMB, 24.7.2oo1; Photos: Alex Gorski, Paris

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