Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

04.09.2001   13:03   +Feedback

Glatte Zukunft

Von Renée Zucker

“Das dritte Jahrtausend wird haarlos sein”, sagte Elzie düster, als wir die Party in Hamburg Eppendorf verließen. Sie hatte sich den ganzen Abend mit einem Schönheitschirurgen unterhalten, und der hatte ihr erzählt, dass sein Hauptklientel nicht etwa die gelangweilten Gattinnen von gutverdienenden Fremdgehern über 50 seien, sondern vor allem Mädchen und Jungen zwischen 17 und 25, die ihr Erspartes von Kommunionen, Konfirmationen, Geburts- und Namenstagen bei ihm ließen. Der Hit unter den Jungen ist derzeit das Weglasern von Brustbehaarung, berichtete Elzie noch völlig fasziniert von ihrem Gespräch. “Tatsächlich läuft alles auf die endgültige Vernichtung des menschlichen Haars hinaus. Erst haben sich die Frauen die Beine rasiert, dann musste es unter den Achseln weg und die sogenannte Bikini-Zone sollte auch babymäßig rein sein.”

“Daran sind die Makrobioten und die Russen schuld”, wusste ich sofort. “Der Makrobiotik-Guru Oshawa hat schon in den Sechzigern gesagt, dass Frauen mit Haaren an den Beinen schlimmer als die Atombombe sind, und dann kamen nach der Maueröffnung die Russen hierher und haben gesagt, nur Prostituierte haben Haare unter den Achseln - echt -”, versicherte ich Elzie, die mir einen Vogel zeigt, “ich kann mich noch genau erinnern, was mir 89 mein erster Russe sagte: Eigentlich fand er alles ganz in Ordnung hier, aber das schlimmste am Westen seien die Frauen mit den Haaren unter den Achseln, hat er gesagt.”

“Jaja,” winkte meine Freundin ungeduldig ab, “der Russe ist einfach zu sensibel und zu überzivilisiert, das weiß man doch, das kommt von zu viel Literatur. Aber in Wirklichkeit sind die Amerikaner mit ihrem Killing-Germs-Tick schuld. Nichts mehr soll an den Menschen als Säugetier erinnern, nirgendwo darf sich eine Bakterie verstecken, deshalb wird sofort alles beschnitten, und nichts kann mehr nach Sex riechen. Schon gar nicht bei Frauen.”

“Und jetzt sind die Männer dran”, begriff ich, “erst machen sie alle einen auf Wallrabenstein um ihren kreisrunden Haarausfall zu kaschieren, jetzt rasieren sie sich auch noch unter den Armen, und seitdem sich Zlatko öffentlich die Brusthaare mit der Pinzette rausgezogen hat, lassen sie sich auch noch die Brustbehaarung wegmachen”. Ich war nun auch von der drohenden Zukunft mit lauter glattrasierten Mannfrauen überzeugt und vergaß fast, Elzie von meinem Gespräch mit dem Zahnarzt zu erzählen, der mir eine neue Vorderfront plus Weglasern von geplatzten Wangenäderchen im saisonalen Sonderangebot offeriert hatte. Wenn ich allerdings noch ein permanent Make-Up, also etwa eine Lippenkontur oder die komplette Wimpernverdichtung dazu nähme, würde es noch billiger werden, “Von dem, was einem die AOK für Zahnreparaturen ersetzt, kann doch kein Mensch mehr leben,” hatte mir der Zahnarzt augenzwinkernd seine Karte in die Hand gedrückt. Die geschäftstüchtige Elzie witterte in dieser Weg-mit-den-Haaren-Bewegung natürlich gleich unsere Chance, in Zukunft auf der Kirmes als die letzten Exemplare der behaarten und unreparierten Spezies Mensch aufzutreten. “Dann reißen wir immer die Arme hoch und erschrecken alle mit unseren Achseln,” strahlt sie zufrieden.

4.9.2001

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