Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

13.08.2001   13:05   +Feedback

Alkoholismus, Antisemitismus und Beleidigtsein

Nach dem Eintritt in die NATO und vor demBeitritt zur EU: Polen bleibt polnisch

Achtung! Kurva!

Die polnische Kultur genießt im Westen einen guten Ruf. Das kommt vor allem daher, dass nur wenige Menschen außerhalb Polens polnisch sprechen und deswegen vieles nicht mitbekommen. Schaut und hört man genauer hin, muss man feststellen: Die polnische Kultur beruht im Wesentlichen auf Antisemitismus und Alkoholismus. Das sind sozusagen die tragenden Elemente, die Säulen der polnischen Kultur.

Und wie in jedem Haus, kommt es nicht nur auf die tragenden Wände, sondern auch auf die Verstrebungen an. Das sind in der polnischen Sprache eine Handvoll Worte, die man immer wieder hören kann, die in jeder Unterhaltung gebraucht werden, egal worüber gesprochen wird.

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An erster Stelle ist es das Wort “kurva”. Wenn ein Deutscher oder ein Franzose oder ein Italiener die Stimme senkt oder anhebt, um ein Komma, ein Ausrufe- oder ein Fragezeichen zu signalisieren, dann sagt ein Pole einfach nur “kurva”. Ein einfacher Satz, ins Deutsche übertragen, würde sich so anhören. “Ich hab mich ins Auto gesetzt, kurva, und als ich losfahren wollte, kurva, merke ich, kurva, dass ich die Schlüssel, kurva, zu Hause vergessen habe, kurva…” Mit steigendem Alkohol-Pegel im Blut nimmt auch die “kurva”-Frequenz zu. So kann es passieren, dass zwei Polen, die ordentlich abgefüllt sind, miteinander plaudern, indem sie sich nur “kurva” zurufen. “Kurva” heißt “Nutte” und wird vollkommen geschlechtsunspezifisch gebraucht. Jede Frau und jeder Mann ist tendenziell und potentiell eine “kurva”.

Ähnlich verhält es sich mit “zyd”. Es ist das polnische Wort für “Jude”, aber es bedeutet mehr. Ruft ein Pole einem anderen Polen “zyd” zu - oder auch “zyd smierdzoncy”: stinkender Jude - dann will er eigentlich sagen: du Drecksau, du Scheißkerl, du Untermensch; im intellektuellen Diskurs steht “zyd” auch für Verräter, subversives Element.. Man muss kein Jude sein, um “zyd” gerufen zu werden, wie man keine Nutte sein muss, um als “kurva” zu gelten.

Der letzte Akt

Wenn man weiß, was diese Worte bedeuten und wie sie eingesetzt werden, kommt man in Polen gut durch, auch wenn man nicht polnisch kann. Allerdings ist es schon von Vorteil, die Sprache zu verstehen, wenn man den Charme von Alltagssituationen erfassen will. Neulich in Jedwabne zum Beispiel, bei den Feiern zur Erinnerung an das Pogrom vor 6o Jahren, als hunderte von Juden von ihren polnischen Nachbarn zusammen getrieben und in einer Scheune am Ortsrand verbrannt wurden, neulich in Jedwabne waren mein Kollege C.C. Malzahn und ich ein wenig privilegiert, weil wir nicht auf die Hilfe der Mitarbeiter des Presseamtes und die amtlichen Übersetzungen der Reden angewiesen waren. Wir konnten uns innerhalb des Ortes frei bewegen und auch mit den Eingeborenen reden, die von der Feier so begeistert waren wie die Einwohner eines Villenviertels vom Bau einer Mülldeponie nebenan.

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Malzahn und ich haben dann zwei Geschichten geschrieben, eine für SPIEGEL-online am 11.7. und eine für für den SPIEGEL vom 16.7.; ohne uns mit dem staatstragenden Charakter der Feier zu beschäftigen, an der vor allem Sicherheitsleute und Polizisten teilnahmen, beschrieben wir, was wir erlebt hatten: eine absurde Inszenierung aus dem polnisch-jüdischen Gruselkabinett, den letzten Akt eines Pogroms, bei dem die Täter den Opfern vergaben, was sie ihnen antun mussten, und die Opfer sich bei den Tätern für so viel Großmut bedankten.

Was dann einsetzte, war noch absurder als die Feier an der abgebrannten Scheune, deren Grundriss mit großen Steinen auf dem Rasen nachgebaut wurde. Polen meldete sich zu Wort und nahm übel. Bei SPIEGEL-online gingen einige hundert Leserbriefe gleichen Wortlauts ein, deren Absender unisono gegen den Beitrag protestierten und der von uns betriebenen Polenhetze die historische Wahrheit entgegen setzten. Erstens habe gar kein Pogrom stattgefunden und falls doch, dann waren die Deutschen und nicht die Polen die Täter; zweitens sind keine 16oo Juden ums Leben gekommen, sondern höchstens 2oo; drittens waren die Juden selber schuld, weil sie mit den Russen kollaborierten. Und schließlich, ausgerechnet von den Deutschen lassen sich die Polen nicht sagen, wie sie mit ihrer Geschichte umgehen sollen.

Neid auf polnische Stolz

Die Argumentation war in sich nicht kohärent, aber dennoch schlüssig. Die Briefe lasen sich wie die Proteste von Türken, wenn vom Völkermord an den Armeniern die Rede ist: Gabs nicht, alles nur Propaganda, und im übrigen hats keine Unschuldigen erwischt.

Auch beim SPIEGEL traf eine ungewöhnlich große Zahl von Leserbriefen ein, weniger als bei SPIEGEL-online, dafür aber elaborierter.

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Eine Leserin (Stanislawa K. aus Hamburg) sah “antipolnische Propaganda” am Werk und machte einen Vorschlag für eine konstruktive Alternative: “Sie sind nicht zufrieden gewesen mit der organisatorischen Seite der Trauerfeier. Warum haben Sie Ihre Unzufriedenheit Herrn Kwasniewski nicht mitgeteilt?” Ein Leser aus Klecko in Polen war durch die “verbißte Ironie der Autoren schockiert”, aber dennoch so weit bei klarem Verstand, dass er erkannt hatte, worum es uns eigentlich ging: “Das Pogrom in Jedwabne nehmen sie nur zum Vorwand, um Polen als ein rückständiges, primitives und intolerantes Land darzustellen, deren Einwohner zu keinem Dialog ... fähig seien.”

Davon war in dem Artikel keine Rede, aber die Anregung verdient es, aufgenommen zu werden. Eine Leserin aus Göttingen, an Duktus und Namen als Polin im Exil identifizierbar, beschwerte sich über einen skandalösen Zustand: Wer es wage, “über Verbrechen der Juden zu sprechen”, werde “sofort als Antisemit abgestempelt”. Sie zitierte zustimmend den polnischen Kardinal Glemp, auch er kein Antisemit, der die Juden aufgefordert hatte, sich bei den Polen zu entschuldigen, für das, was sie den Polen angetan haben. Eine Leserin aus Kehl, die nur mit ihren Initialen gezeichnet hatte, schrieb:

“Ich bin bis jetzt nicht sicher; war das Artikel im Spiegel oder im Titanic gedrückt? Herr Henryk (seit wann in BRD?) M. Broder und sein Kompann haben in Polen Wodka zu arg genossen. Anderes wie kann ich mir dass nicht erkleren, was die beiden da produzieren! Schule war dennen versagt? Haben die sich gefragt, von wo so viele Juden im Polen von ausbruch des Krieges waren? Wer dennen zuflucht gegeben hat? War dass auch Gott - Pole? Oder ist das nur Neid auf polnische Stolz? Ein Pole kann es tun, ein Deutsche nicht: Den Juden NICHT ins Arsch zu kriechen.”

Ja, mit der Rechtschreibung und der Grammatik hapert es noch ein wenig, aber das nationale Bewusstsein ist schon gut entwickelt. Nun ist bekannt, wer Leserbriefe schreibt: Zu 9o% sind es Wichtigtuer und Querulanten, Studienräte und andere gescheiterte Existenzen, die sich entweder langweilen oder beleidigt fühlen oder beides. Die restlichen zehn Prozent sind Angehörige und Freunde der Betroffenen. In unserem Falle waren es Polen, die ihre nationale Ehre beschützen mussten. Die war nicht etwa an jenem 1o. Juli 1941 lädiert worden, als die Bürger von Jedwabne die Gunst der Stunde nutzten und ein paar hundert Juden umbrachten, nein, erst als sechzig Jahre später ruchbar wurde, dass es nicht die Deutschen, sondern die Polen waren, rochen die Polen etwas, und zwar nicht verkohlte Leichen, sondern ein Komplott, mit dem ihr Land in die Knie gezwungen und für Reparationen weich geprügelt werden sollte. Bis dahin war alles in Ordnung gewesen. Die Zahl der Opfer - 16oo - stand so lange fest, wie die Nazis als Täter genannt wurden. Niemand zweifelte, dass das Pogrom stattgefunden hatte, keiner machte sich Gedanken über die korrekte Zahl der Opfer. Jetzt wurde der alte Gedenkstein entfernt und durch einen neuen ersetzt, auf dem nur noch der Juden gedacht wird, die täterlos “ermordet wurden”, als wären sie im Sturm vom Blitz erschlagen worden.

Denn Antisemitismus und Pogrome hat es in Polen nie gegeben, nicht vor dem Krieg, nicht während der Krieges und auch nicht danach. Das Pogrom von Kielce im Jahre 1946 (!), bei dem einige Dutzend Juden “ihr Leben verloren”, deren einziges Verbrechen darin bestand, dass sie in die Stadt zurück wollten, wo ihr Besitz bereits vergesellschaftet war, wurde auch lange und beharrlich schön geredet; mal war es der russische Geheimdienst, der es angezettelt hatte, um Unruhen zu provozieren, mal waren es die Juden selber, die gutmütige Polen aufgehetzt hatten, Juden zu erschlagen, nur um hinterher die Polen anklagen zu können. In jedem Fall waren die eigentlichen Opfer der Pogrome immer die Polen und die Nutznießer die Juden. Was für eine Chuzpe!

So auch in Jedwabne. Mit ungläubigem Staunen verfolgten die Einwohner des Ortes die Ankunft der Angehörigen der Opfer, denen die polnische Regierung sogar die Reise bezahlt hatte. Hatten die Juden nicht mal wieder das große Los gezogen? In Amerika leben und nach Polen kommen, um sich zu beschweren! Was für eine Chuzpe! Wären sie doch in Polen geblieben, wie die Bürger von Jedwabne, die unter der kommunistischen Diktatur leiden mussten, während sich die Juden im kapitalistischen Luxus wälzten!

Zurück zu den Leserbriefen. Zwei waren besonders bemerkenswert, denn sie stammten nicht von gewöhnlichen SPIEGEL-Lesern. Adam Michnik, früher Dissident, heute Chefredakteur der “Gazeta Wyborcza”, war “von dem Artikel tief erschüttert”, denn er “beleidigt in seinem Ton nicht nur die Polen, sondern auch die Opfer des Pogroms und deren Angehörige”. Michnik, der inzwischen Mühe hat, mehr als zwei zusammenhängende Sätze zu sprechen, beschwerte sich nicht über falsche Fakten, sondern “die Art des Berichts”, es war der Ton, der ihm nicht passte. Denn er, der große allpolnische Kapellmeister, hatte vor ein paar Wochen den richtigen Ton vorgegeben. In einem Artikel für die New York Times trat er als Pole und als Jude auf. Als Jude verurteilte er das Pogrom, als Pole suchte er nach Rechtfertigungen. Eine verwirrte Seele auf Zick-Zack-Kurs: Die Antisemiten haben Michnik so lange als “zyd” beschimpft, bis er schließlich selber überzeugt war, dass er einer wäre.

Ähnlich wie Michnik, der Ex-Dissident, reagierte auch ein anderer polnischer Patriot: Marek Siwiec, “Chef des Büros für nationale Sicherheit”, einer Behörde, die früher nur UB hieß und keinen besonders guten Ruf hatte, weil ihre Mitarbeiter gerne im Morgengrauen ihre Kunden zum Verhör abholten, das sich über Tage und Wochen hinziehen konnte. Doch inzwischen ist auch die Staatspolizei demokratisiert worden und ihr Chef kümmert sich nicht nur um die innere Sicherheit, sondern auch um die richtige Berichterstattung über Polen in ausländischen Medien.

Unheilbar gesund

Siwiec hatte “mit großem Erstaunen” unseren Artikel gelesen und hinterher “größte Verblüffung und Empörung” gespürt, denn er hatte auch an der Feier teilgenommen und alles ganz anders erlebt. Nämlich als positiven Beitrag zur “gesellschaftlichen Gewissensforschung, die sowohl die intelektuellen Elieten wie auch ordentliche Bürger umarmt”. Ja, zu irgendwas müssen “die tragischen Ereignisse, die sich vor 6o Jahren in Jedwabne abspielten” gut gewesen sein. Zudem, so Siwiec, sei das Pogrom “in spezifischer Umwelt begangen worden”, die er “moralische Ekologie” nennt, deren “Urheber das Nazi-Deutschland gewesen ist”. Soll heißen: die Deutschen haben die Polen kontaminiert, die sonst nie und nimmer auf die Idee gekommen wären, Juden zu schlachten.

Ich würde gern mal erleben, wie die Polen reagieren würden, wenn der Chef des BKA oder des Verfassungsschutzes eine polnische Zeitung wegen “unfairer Berichterstattung” dermaßen abmahnen würde. Aber die Polen dürfen das, denn sie haben eine “moralische Ekologie” erfunden, die es ihnen erlaubt, unter allen Umständen ihre Unschuld zu behalten. In einer kranken und verkommenen Welt bleiben sie allein unheilbar gesund.

Für die polnische Kultur bedeutet das eine Verbreitung ihrer Basis. Alkoholismus und Antisemitismus machen noch mehr Spaß, wenn die Liebe zum Beleidigtsein ihnen einen höheren Sinn verleiht.

HMB, 13.8.2oo1

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