Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.08.2001   13:06   +Feedback

Die Banalität der Mösen

Keine Pornografie, sondern politisch korrekte Tampon-Prosa: die Vagina-Monologe mit Promi-Frauen in Berlin

Was für ein Sommer! Mal ist es heiß wie auf Sizilien, mal kalt wie auf Grönland und dazwischen jagt eine Sensation die andere. Kaum wurde das “den holocaust hat es nie gegeben”-Plakat abgehängt, muss Berlin schon die nächste “Provokation” verkraften. Denn “Provokation fördert die Diskussion”, sagt der Berliner Bürgermeister, der sich mit seinem Geständnis, er sei schwul und das wäre auch gut so, in die Herzen der Berliner hineinprovoziert hat.

Seit Anfang August werden in der Treptower Arena die “Vagina-Monologe” der New Yorker Autorin Eve Ensler aufgeführt. Was nicht weiter bemerkenswert wäre, weil das Stück seit 1996 am Off-Broadway und seit über einem Jahr auch in der Bundesrepublik gespielt wird. Die Provokation und die Sensation der Berliner Inszenierung liegen darin, dass prominente Vagina-Besitzerinnen als Stargästinnen mitmachen: u.a. Hannelore Elsner, Jasmin Tabatabai, Katja Riemann und die bei solchen Gelegenheiten unvermeidliche, ewig junge Iris Berben, die schon einmal, um zu provozieren, ihren Schlüpfer vorgeführt hat und nun nach der Verpackung auch den Inhalt präsentiert.

In anderen Zusammenhängen würde man von einer Regression ins Infantile sprechen. Erwachsene Frauen, einige schon über 5o, treffen sich, um Doktorspiele zu veranstalten. Zeigst du mir deine, zeig ich dir meine. Dagegen wäre nix zu sagen. Es soll auch erwachsene Männer geben, die sich nach Feierabend in winselnde Kleinkinder verwandeln und lustvoll in die Windeln scheißen, bevor sie in die Oper gehen. Völlig okay wäre es auch, wenn die Frauen mit den Männern auf einem Gebiet gleichziehen würden, auf dem sie wirklich benachteiligt sind: dem des Exhibitionismus. Zum männlichen Gliedvorzeiger, GVZ genannt, gibt es kein weibliches Gegenstück. Die Gliedvorzeigerin wäre eine ziemliche Verrenkung, logisch wie physisch ein Unding. Wann hat man zum letzten Mal von einer Frau gehört, die nur mit einem Mantel bekleidet hinter einem Busch lauert und vorbei gehende Männer erschreckt?

Bei den Vagina-Monologen geht es aber weder um späte Doktorspiele noch um eine exhibitionistische Aufholübung. Das Stück ist “hohe Theaterkunst”, sagt sogar BILD, und wie alle Kunst will es das Bewusstsein verändern, die Gesellschaft aufrütteln und den therapeutischen Skandal provozieren - wie jede durchgeknallte Hip-Hop-Truppe, die mit “sozialkritischen Texten” in die Charts drängt.

“Mit Prominenz zieht die Aufführung einfach größere Kreise und wird in seiner politischen Absicht stärker wahrgenommen”, sagt Adriana Altaras, die Regisseurin der Berliner Inszenierung. Auch wenn es “... in ihrer politischen Absicht” heißen muss, weil “die Aufführung” zwar keine Vagina hat, aber trotzdem feminin ist, kommt es immer noch darauf an, wessen Vagina reden darf. Würde eine ALDI-Kassiererin über ihre “Muschi” reden, käme sie damit bestenfalls in “Vera am Mittag” zu Wort. Aber wenn Hannelore Elsner den Monolog einer vergewaltigten bosnischen Frau spricht, dann liegt zum einen “eine politische Absicht” vor und zum anderen handelt es sich um eine kriminalpräventive Maßnahme. Die Vorstellung, Hannelore Elsner könnte wieder intervenieren, dürfte beinah jeden Vergewaltiger beizeiten abschrecken.

Trotzdem, sagt Adriana Altaras, wirke das Stück “befreiend”, wenn auch in einem anderen Sinne. “Das haben die Schauspielerinnen und ich bei den Proben gemerkt. Wir sprachen plötzlich den ganzen Tag über Vaginas, nicht nur untereinander, sondern auch mit unseren Familien und Freunden”. Eine der Schauspielerinnen hat erst bei den Proben “den Unterschied zwischen vaginalem und klitoralem Orgasmus” begriffen, eine andere entdeckte “eine Angst in der Gesellschaft, dass die Vagina zu zentral wird, dass der Phallus an Macht verliert”, eine dritte stellte mit geschärftem Problembewusstsein die Frage der Fragen: “Wie geh ich eigentlich damit um? Was weiß ich eigentlich über mich?”

Offenbar nicht zu viel, denn bei der Arbeit an dem Stück, so Adriana Altaras, ging es auch darum, “ob man sich traut zu sagen, das hat mir gefallen beim Sex und das nicht, oder ich will mir nicht die Schamhaare rasieren, oder doch, denn es gefällt mir”.

Das sind Fragen, die es in der Tat verdienen, öffentlich diskutiert zu werden, und zwar von “Frontfrauen, die am eigenen Leib erfahren haben, was es bedeutet, als Schönheit angehimmelt und dann niedergeputzt zu werden”, sagt Altaras, der wenigstens eine solche Erfahrung erspart geblieben ist. Um die Diskussion auf eine möglichst breite Basis zu stellen, hat sie versucht , “auch Fernsehmoderatorinnen und Politikerinnen” für Gastauftritte zu gewinnen, u.a. Sabine Christiansen und Angela Merkel, die freilich nicht mitmachen mochten.

Schade, schade. Sabine Christiansen hätte ihre Vagina interviewt, so wie sie ihre Talk-Gäste interviewt, wäre ihr also immer wieder ins Wort gefallen und hätte an wichtigen Stellen gesagt: “Darauf kommen wir später” und Angela Merkel hätte erzählt, wie sie allein mit ihrer Vagina in der Wahlkabine steht und beide nicht wissen, wen sie wählen sollen.

So müssen wir uns mit den Statements der Frauen begnügen, die tatsächlich mitgemacht haben. Sie geben dem Begriff “Vaginismus” eine ganz neue, alternative Bedeutung. Adriana Altaras sagt: “Durch die Vagina betrachtet, sieht die Welt ganz anders aus”, Katja Riemann findet “diesen Satz sehr schön, der hat so eine Poesie, für mich bedeutet das einen Blick durch die Weiblichkeit hindurch auf die Welt”.

Der vaginale Durchblick bricht mit dem letzten Tabu. “Vagina ist ja eher ein medizinisches Wort, das kriegt man noch ausgesprochen, aber Fotze hat immer noch was Ordinäres… Es ist sehr befreiend, es auf dem Theater zu sagen. Ich glaube, auch für die Zuschauer.”

Bei Wolfgang Neuss fand die Sonnenfinsternis in der Turnhalle statt, Adriana Altaras und ihre Co-Vaginen feiern die Befreiung im Theater.

Und während draußen in der rauhen Welt noch immer solche Machos rumlaufen, wie der ehemalige DDR-Unterhalter Wolfgang Lippert (“Wenn ich eine Blondine sehe, wird meine Hose zum Zirkuszelt”), meint Katja Riemann, dass auch Männer den “Blick durch die Weiblichkeit” lernen sollten. Auf die Frage eines Reporters, was die “Vagina-Monologe” verändern könnten, sagt sie: “Ich glaube, dass Sie als Mann nach so einem Stück anders mit dem Geschlechtsteil ihrer Freundin umgehen.”

Aber nur, wenn sie eine Vagina hat, die wie eine Fotze spricht.

HMB, Berlin, 18.8.2001

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