Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.09.2001   13:05   +Feedback

Selber schuld!

Ein Volk, ein Kanzler, eine Trauer? Nicht unbedingt. Während in New York und Washington die Toten noch nicht geborgen sind und die Weisen von Kabul darüber beraten, ob sie Osama bin Laden an die USA ausliefern sollen, steht für einen Teil der deutschen Öffentlichkeit der Schuldige für den Massenmord fest: Es sind die USA, die durch ihre Arroganz, Außen- und Umweltpolitik, durch ihr Verhalten in Vietnam, Chile und im Nahen Osten das Desaster auf sich gezogen haben. “Selber schuld!” schallt es den Toten und den Überlebenden der Katastrophe entgegen, “es ist zwar schrecklich, was euch passiert ist, aber nicht unverdient.” - Mag sein, dass nur eine Minderheit der Bevölkerung so denkt, aber da sie zur Zeit von der offiziellen Politik nicht vertreten wird, artikuliert sie sich umso deutlicher. Auf meinen Beitrag bei spiegel online “Warum wir die Amerikaner hassen” kamen rund 8oo Leser-Reaktionen, ein Rekord auch bei kontroversen Geschichten. Etwa die Hälfte der Leser war mit dem Beitrag einverstanden, die andere Hälfte protestierte heftig und insistierte, dass nicht der Anschlag auf das World Trade Center und das Pentagon, sondern die erwartete Reaktion der USA die wirkliche Gefahr für den Frieden bedeuten würde. Was in diesen Briefen zum Ausdruck kommt, ist ein authentisches Ressentiment, das auch von 5.ooo Toten nicht gedämpft wird. Ob man es “Antiamerikanismus” nennt oder einfach “Mangel an Mitgefühl”, spielt keine Rolle. Es ist ein Vorgeschmack auf die Stimmung, die sich im Land ausbreiten wird, wenn die Bundesrepublik in den Konflikt hineingezogen wird.

21.9.2001

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