Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

02.10.2001   13:02   +Feedback

Fremde Federn: Muslimisches Arabien und die Angriffe auf die USA

Eine Bestandsaufnahme von Motiven

Das Heilige Land Saudi-Arabienund der Heilige Krieg dagegen

Noch heute wird die Herrschaft über ganz Arabien (= hier symbolisch und nicht geographisch aufzufassen) an der Inhabe des Titels “Beherrscher der Gläubigen und Beschützer der Heiligen Städte Mekka und Medina” gemessen. Lange wurde diese Herrschaft mit der Inhabe von Riyadh verbunden.

Prinzipiell haben sich seit Jahrhunderten die Sippen des Hauses ar-Rashid und as-Saud einen sportlichen Wettstreit um die Inhabe der Stadt Riyadh geliefert. Dass heute die Familie des Hauses as-Saud Beschützer der Heiligen Städte ist, ist Ergebnis einer verklärten Saga.

Wichtig erscheint mir der Fakt, dass der heutige Inhaber eines Titels, der eine Religion im Sinne Wahhabs verkörpert, die Andersglaubende ganz selbstverständlich als Feinde des Muslime definiert, auch der Inhaber eines westlichen Titels ist: Seine Königliche Hoheit. Dieser Fakt beschreibt gerade für den amtierenden Inhaber, King Fahd, eine zum Verdammnis bestimmte Orientierung an den Westen. King Fahd, durch seine Alkoholexzesse unfähig die Regierungsgeschäfte zu führen, überließ diese seinem Bruder Abdullah, Kronprinz von Saudia. Abdullah, durch seine Distanz zu den USA in der muslimisch-arabischen Öffentlichkeit wesentlich beliebter als Fahd, sollte aufgrund seiner US-Abstinenz auch von der vorgeschriebenen Erbfolge ausgeschlossen werden. Der Versuch von Fahd wurde jedoch vereitelt.

Von seinen Nachbarn und eigenen Brüdern hat Saudia allerdings nichts Gutes zu erwarten. Irak, Iran, Ägypten, Afghanistan, etc., erheben Anspruch auf die Beherrschung der beiden Heiligen Städte. Ihre Hauptmotive sind Neid auf Profite aus dem Ölgeschäft und der Vorwurf der Materialisierung des Islams. Als ein weiterer Grund dient selbst die bloße Anwesenheit Ungläubiger (bspw. US-Ingenieure in Damman, UK-Architekten in Dubai, etc.). Sie, die bloße Anwesenheit, entweihe den einzig wahren Glauben.

Das Heilige Land Saudi-Arabien als Beschützer des Islams, das die Regeln Wahhabs praktiziert, wird also durch den Heiligen Krieg seiner eigenen Brüdern gegen ihn bedroht.

Dies ist der Bezug zu den Angriffen aus der vergangenen Woche: In ihrem Fanatismus gehen sie mit aller Macht gegen interne und externe “Feinde” (i.S.v. Abweichlern) innerhalb der muslimischen Welt - selbst gegen den Heiligen Beschützer des Islams - mit Krieg und Mord vor (siehe Saddams Heiliger Krieg, 1991). Die eigentlichen Motive verklären sich dabei. Sie missbrauchen einander. Das macht die Analyse und Diskussion kompliziert.

Auch herrscht - von einem Außenseiter betrachtet - ein völliges Wirrwarr in dieser arabischen Welt: Warum dürfen beispielsweise in dem einen islamischen Staat Frauen arbeiten, am öffentlichen Leben teilnehmen, und im anderen nicht einmal das Haus ohne Begleitung eines erstgradigen Verwandten verlassen? Warum, wenn sich beide auf die selbe Gesetzesreligion berufen?

Man wird keinen einzigen Muslimen finden, der eine klare Antwort zu geben bereit ist. Sie desavouieren. Sie belügen sich, denken im Kreis. Bauen Argumentationstaktiken auf, die Geschichtenschreiber nicht besser haben formulieren können.

Selbst emanzipierte muslimische Araberinnen, organisiert in deutschen Frauennetzwerken, beginnen beispielsweise ihre Ausführungen über Frauen im Islam damit, dass nur und ausschließlich nur im Islam die Stellung der Frau zu deren Gunsten spezifiziert wurde und dass nur im Islam die Frau ein wahres, erfülltes Leben führen kann. Und das natürlich schon seit ca. 1500 Jahren. Spätestens nach 5-7 Minuten wird im gleichen Zusammenhang (aber diesmal mit entsetzten Gesichtszügen) darauf aufmerksam gemacht, wie furchtbar doch das Leben der Frauen in islamischen Staaten ist - als Beweis gilt die Verätzung von Frauen in Malaysia, Saudia, etc. (ca. 500-700 registrierte Fälle pro Jahr). Ja, was denn nun?

2.10.2001

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