Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

13.11.2001   12:03   +Feedback

Der Schmock ist aufgegangen - Dieckmann macht sich frei

Reisen macht Spaß, Reisen bildet, Reisen erweitert den Horizont. Außer wenn einer Christoph Dieckmann heißt, der Quoten-Ossi der ZEIT ist und nach Auschwitz fährt, um späte FDJ-Wanderprosa zu produzieren:

Christoph Dieckmann, der Quoten-Ossi der ZEIT (Klicken zum Vergrößern)

“Du fährst hinaus zum Lager Birkenau. Du siehst das Tor, die breite Stallung, unterm Mittelturm durchlaufen von dem Gleis, das auf die Rampe führt. Links des Tores versinkt die Sonne in einem Glast von Kobalt und Zinnober, und hoch oben schneidet ein Flugzeug mit loh-weißem Schweif den Himmel auf… Der Mond ist aufgegangen, ein zarter Sichelmond, und du bist im Lager Birkenau der einzige Mensch.”

Es gefällt ihm so gut in Birkenau, dass er die Besuchszeit verpasst, und als er das “nächtliche Lager” endlich verlassen will, ist “das Tor geschlossen”. Irgendwie kommt er aber doch raus und fährt am nächsten Morgen nach Krakau, die Stadt “kauerte im Regen und wollte sich auch mittags nicht erhellen und nicht erheben”; Dieckmann aber war schon wieder prosatechnisch gut drauf, er besuchte die “längst versunkenen Kinder Israel” auf dem jüdischen Friedhof im Kazimerz-Viertel und hinterher “die bescheidene Remuh-Synagoge”.

Danach kam er langsam ins Grübeln. “Ich weiß gar nicht, was ein Jude ist.” Dafür weiß er umso besser, woran Israel krankt. “Und heute wird Israel auch vom jüdischen Nationalismus bedroht. Man kann nicht beides haben - säkulare Demokratie und eine ethnische Staatsreligion.”

Nur ein paar Stunden in Auschwitz und Krakau - und schon zeigt Dieckmann, wie “es” in ihm denkt, und das obwohl er in der DDR “nie antisemitischen Versuchungen ausgesetzt” wurde. Unser Edel-Ossi ist ein Autodidakt, der mutig zu seinen Bildungsdefiziten steht: “Was mir immer fremd blieb: der jüdische Glaube an Israel als Gottes auserwähltes Volk.” Und das nagt an ihm und läßt ihm keine Ruhe, so wie unsereiner sich immer fragen muss, wieso die Ossis so lange an Soljanka und Würzfleisch als Delikatessen glauben konnten.

Inzwischen wissen wir es, sie sind nie richtigen Versuchungen ausgesetzt worden, und auch Dieckmann hat seitdem dazu gelernt. Er schwafelt vom “jüdischen Volkserwählungsglauben”, von Juden, die “Zehrgäste” blieben und im “Wirtsvolk” keine “Blutwurzeln” hatten.

Und dann kommt er darauf, was ihm wirklich auf der Seele lastet: “Niemals vergesse ich, wie am zehnten Tag der deutschen Einheit der Palästinenserknabe Mohammed al-Durra in den Armen seines Vaters erschossen wurde.” Dieckmann macht sich frei, der Besuch in Auschwitz hat ihn voll entspannt, dass die Israelis den “Palästinenserknaben” ausgerechnet am zehnten Tag der deutschen Einheit erschossen, ist ein weiterer Beweis für die Brutalität und Rücksichtslosigkeit derjenigen, die sich heute für das auserwählte Volk halten.

Aber so waren die Juden schon immer. Eine dicke Blutspur markiert ihren Weg durch die Geschichte.

“War nicht das Volk Israel, dem Gott seine Gebote offenbarte, unterwegs nach einem verheißenen Land, in dem aber längst andere Menschen lebten? Hält nicht Israel bis heute fremde Erde und büßt dafür mit Tod und tötet jeden Tag? ... Israels Erwählungshybris ist ein Fluch.”

Dieckmann ist es auch. Ein Kollateralschaden der Wiedervereinigung, den wir ertragen müssen, weil die Mauer zu früh abgerissen wurde. So wie die Israeliten 4o Jahre durch die Wüste wandern mussten, damit die Sklaven wegsterben konnten, hätte die Mauer noch eine Weile stehen bleiben sollen, damit sich die Dieckmanns erstmal in Ruhe daheim austoben und ein paar Grundbegriffe der Geschichte lernen können. Zum Beispiel: Was ist ein Jude? Oder woran erkennt man einen Ossi-Schmock? An der ersten Frage muss Dieckmann noch ein wenig arbeiten, die zweite hat er schon beantwortet.

PS: Am selben Tag, an dem Dieckmann in der “Zeit” erklärte, die Juden würden bis heute dafür büßen, dass sie seit jeher nach fremder Erde gieren, hielt sein Chef, Zeit-Co-Herausgeber Michael Naumann, vor der jüdischen Gemeinde in Berlin die Gedenkrede zum 9. November.

Eine feine Arbeitsteilung. East meets west. Jedem das Seine.

HMB, Berlin, 13.11.2oo1

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