Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2002   12:06   +Feedback

USA-Tagebuch

Nation im Alarm-Zustand USA-Tagebuch Winter 2001/02

Marktwerttest für deutsche Politiker Merz mit Mousse

“Komm mit”, sagt Malte, “es gibt was zu essen und du lernst ein paar wichtige Leute kennen”. Friedrich Merz ist in der Stadt, der “Minority Leader in the German Bundestag”, und die Konrad-Adenauer-Stiftung lädt zu einem “luncheon seminar” mit dem “Chairman” der CDU/CSU-Fraktion in den Crystal Room des Hotel “Willard” ein.

So was gibt es in Washington jeden Tag ein paar Mal. Ein “luncheon seminar” ist ein Mittagessen mit einer Rede, meistens zwischen dem Hauptgericht und dem Nachtisch, wobei der Redner ein ausländischer Politiker ist, der seine Popularität und seinen Marktwert in den USA testen möchte.

Nur Männer am Tisch (Foto: Henryk M. Broder)

Merz kann zufrieden sein. Etwa 150 Gäste an zehn runden Tischen wollen hören, was er zum Thema “The Transatlantic Partnership After September 11th” zu sagen hat. “Ein Super-Publikum”, raunt der Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung in Washington, der natürlich jeden im Saal kennt, “sogar ein paar Abgeordnete sind gekommen”. Bloß ich kenne niemanden und bin froh, dass Klaus-Jürgen Haller, der Korrespondent des WDR, mir gegenüber sitzt. “Nur Männer am Tisch, ich weiß nicht, ob das richtig ist”, ruft der Kollege mir im schweren rheinischen Tonfall zu.

Als Vorspeise gibt es einen kleinen gemischten Salat, als Hauptgericht Kabeljau mit angebratenen Kartoffeln und gedünstetem Gemüse, zum Nachtisch einen Löffel “Mousse Chokolade” auf einem Biskuit. “So ein Essen kostet 60 Dollar pro Person”, sagt der Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung, der wirklich alles weiß. Ich rechne kurz hoch: 150 mal 60, das macht rund 9000 Dollar, etwa 20.000 Mark. Als könne er Gedanken lesen, bedankt sich im selben Moment der Vertreter der Konrad-Adenauer-Stiftung beim German-Marshall-Fund für die “Unterstützung” des Seminars.

Essen für 60 Dollar pro Person (Foto: Henryk M. Broder)

Wenn die Amerikaner alles bezahlen, würde ich gerne noch ein paar Kartoffeln haben, trau’ mich aber nicht, den Ober zu belästigen. Kollege Haller, schräg gegenüber, ist wunschlos glücklich. “Von mir aus können die so was öfter machen, dann kann ich auf das blöde Sandwich am Mittag verzichten.”

Dann spricht Merz. Er ist “delighted” in Washington zu sein, nachdem er seine Reise dreimal verschieben musste. Es ist der 60. Jahrestag der japanischen Überfalls auf Pearl Harbour, Merz zieht eine Verbindung zum 11. September und baut eine Brücke zwischen dem amerikanischen und dem deutschen Volk: “We the Germans feel near to our American friends.”

Muss es nicht “close” heißen? Egal, es ist nicht der Augenblick für sprachliche Feinheiten. Merz berichtet, wie die Opposition die Regierung in ihrem Kampf gegen den Terrorismus und gegen die Abweichler in den eigenen Reihen unterstützt hat, er lobt den Kanzler und den Außenminister und wiederholt, was schon oft gesagt wurde. Der 11. September sei ein “Angriff auf die offene Gesellschaft” gewesen, “auf die Freiheit und die Sicherheit von uns allen”, eine militärische Antwort war unvermeidlich, “nicht als Vergeltung, sondern als Vorsorge für Frieden und Freiheit”. Merz spricht über die Moslems in Deutschland, über die Nao und über Russland, über internationale Zusammenarbeit und über die Aussichten für eine bessere Zukunft.

Friedrich Merz sprach vor allem zu lange (Foto: Henryk M. Broder)

Vor allem aber spricht er zu lange, über 40 Minuten, so dass am Ende nur noch Zeit für zwei Fragen bleibt. Wie denn die Reaktionen in Deutschland auf eine Ausweitung der militärischen Aktionen gegen den Terrorismus aussehen würden, will ein amerikanischer Journalist wissen. “Jetzt wird es kritisch”, sagt der Vertreter der Friedrich-Naumann-Stiftung, der mit einer solchen Frage schon gerechnet hat.

Und Merz wird konkret. Die regierende Koalition würde einen solchen Schritt nicht unterstützen, die Opposition schon. “Der Kampf kann in Afghanistan nicht aufhören.” Allerdings müssten die USA alle weiteren Schritte mit der Nato absprechen und abstimmen, dann wäre die CDU/CSU “im Prinzip bereit, weiteren Maßnahmen zuzustimmen”.

Eine halbe Stunde später, beim sogenannten Hintergrundgespräch in kleiner Runde, wird Merz noch deutlicher. Sowohl die Regierung wie die Opposition hätten in der Krise nach dem 11. September “alles richtig gemacht”, wenn sich aber der Konflikt weiter ausbreite, werde die Regierung ihre Politik der Solidarität mit den USA nicht fortsetzen können. Wegen Widerstands im eigenen Lager. Was Merz noch sagt, ist neu, ist spannend und es stellt die Weichen für eine Auseinandersetzung zwischen der Regierung und der Opposition, wobei die Opposition bei der Bekämpfung des Terrorismus viel weiter gehen würde, als die Regierung gehen möchte.

Aber es war ein “reines Hintergrundgespräch”, und Merz bestand darauf, nicht zitiert zu werden. “Das ist so üblich bei Hintergrundgesprächen”, sagt Malte, “sonst wird man nicht wieder eingeladen”.

Aber ein wenig Plaudern wird noch erlaubt sein.

20.1.2002

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