Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2002   12:06   +Feedback

USA-Tagebuch

Nation im Alarm-Zustand USA-Tagebuch Winter 2001/02

Verschwörungstheorien Warum Osama Lady Di aufdem Gewissen hat

Amerikas Boulevard-Blätter wissen es: Bevor sich Bin Laden mit einer Koffer-Atombombe in die Luft sprengt, wird er noch den Big Ben in London und den Eiffelturm flachlegen. Sein schlimmster Alptraum allerdings soll Diana gewesen sein.

“Globe”-Cover vom 18. Dezember 2001 (Foto: Henryk M. Broder)

Investigativer Journalismus ist eine feine Sache. Man muss nur die richtigen Informanten finden, die einem was Wichtiges erzählen wollen. Mir persönlich gefallen die knallharten Reportagen von RTL-“Explosiv” am besten, dicht gefolgt von den Aufsätzen von Willi Winkler im Feuilleton der “Süddeutschen Zeitung”. Der hat neulich geschrieben, die Amerikaner hätten Ende 1941 die Japaner dazu gebracht, Pearl Harbor anzugreifen, weil sie einen Vorwand brauchten, in den Krieg einzutreten. Und die Japaner wären so blöd gewesen, den Amis den Gefallen zu tun.

Ich las die Geschichte online, während im US-Fernsehen die Überlebenden von Pearl Harbor sich an den 7. Dezember 1941 erinnerten und ihrer toten Kameraden gedachten. Sie hatten - auch nach 60 Jahren! - keine Ahnung, was wirklich passiert war. Denn sie hatten Willi Winkler in der “Süddeutschen” nicht gelesen.

Umgekehrt kann natürlich auch ein Blick in amerikanische Zeitungen sehr hilfreich sein. Mein Lieblingsmagazin ist der “National Enquirer”, das Flagschiff des investigativen Journalismus in den USA. Der “NE” veröffentlicht am liebsten exklusive Geschichten über Prominente; zum Beispiel die über Elvis, der gar nicht gestorben, sondern nur abgetaucht ist, weil er den Rummel nicht mehr ertragen konnte.

In der neuesten Ausgabe des “NE”, die ich bei Safeway an der Kasse mitgenommen habe, wird Sabiha Bin Laden, eine Ex-Frau von Osama Bin Laden interviewt. Sabiha ist 45 Jahre alt, hat Osama vier seiner insgesamt 42 Kinder geboren und ihren Mann verlassen, nachdem er sich eine 17-Jährige zur Frau genommen hatte. Im Oktober sei sie aus Afghanistan in die Vereinigten Arabischen Emirate geflohen.

Verhüllt, aber sie spricht: Osama Bin Ladens angebliche Ex-Frau im “National Enquirer” (Foto: Henryk M. Broder)

Zum Beweis, dass es sich wirklich um die Ex-Frau von Osama Bin Laden handelt, zeigt der “NE” das Foto einer Frau, die eine hellblaue Burka trägt. Es könnte, rein theoretisch, auch Antje Vollmer an Weiberfastnacht sein, aber wenn man einer Bildunterschrift nicht mehr vertrauen kann (“Sabiha Bin Laden, Osama’s ex-wife…”) - worauf im Leben kann man sich dann überhaupt noch verlassen?

Außerdem: so spricht nur eine verbitterte Frau über ihren Ex-Mann: “Osama ist nicht derselbe Mann, den ich geheiratet habe. Er schläft nur zwei bis drei Stunden jede Nacht… Er isst sehr wenig, zu viel Essen macht ihn müde. Er spricht mit seinen Ratgebern in einem Geheimcode. Sein Leben ist ein Alptraum…” Er habe ein vergrößertes Herz, niedrigen Blutdruck, Probleme mit den Nieren und Diabetes. “Ich glaube, auch mit seiner Leber ist etwas nicht in Ordnung.”

Doch statt zu einem ordentlichen Arzt zu gehen, habe sich Osama eine “Kofferatombombe” besorgt, die er zünden werde, wenn seine letzte Stunde naht. Vorher aber wolle er noch das Kapitol in Washington, den Big Ben in London und den Eiffelturm in Paris zerstören. Das alles - und noch viel mehr - erzählt Sabiha Bin Laden, die Ex-Frau von Osama Bin Laden, dem “National Enquirer”, “weltexklusiv” und - ohne die Burka zu lüften. Ganz am Ende sagt sie: “Er bellt seine Befehle in einem hysterischen Tonfall. Alles erinnert an die letzten Tage von Hitler in seinem Bunker!”

Spätestens an dieser Stelle müsste der Leser stutzen. Woher weiß Sabiha, wie es während der letzten Tage von Hitler im Führerbunker zuging? Gehören die Bücher von Fest, Bullock und Kershaw zu der Schullektüre afghanischer Frauen? Könnte es sein, dass der “National Enquirer” bei dem Interview ein wenig geschummelt hat? Dass gar nicht die Ex-Frau von Osama interviewt wurde, sondern sein Fahrer, sein Koch oder einer seiner Leibwächter? Eine Burka kann sich schließlich jeder anziehen.

Sabiha Bin Laden über ihren Ex-Mann: “Ich glaube, auch mit seiner Leber ist etwas nicht in Ordnung” (Foto: Henryk M. Broder)

Osama Bin Laden ist ein Rahmen, der mit Inhalt gefüllt werden muss. Niemand weiß, wo er sich aufhält, ob er noch lebt oder vielleicht schon tot ist. “Dead or alive” wollte ihn Präsident Bush haben. “Dead or dead” der Kolumnist Thomas Friedman. Bin Laden muss gefasst werden, wenn er nicht eine Legende werden soll wie einst Störtebecker oder der Fliegende Holländer, der überall und nirgends zugleich ist und den man für alles verantwortlich machen kann.

“Globe”, ein Konkurrenzblatt vom “National Inquirer”, titelt in der kommenden Ausgabe vom 18. Dezember: “Bin Laden hat Diana umgebracht!” Die Geschichte “basiert” auf Informationen aus einer “Anti-Terror-Abteilung” innerhalb der französischen Regierung. “Diana war Bin Ladens schlimmster Alptraum. Sie hat muslimische Frauen überall auf der Welt inspiriert, für ihre Rechte zu kämpfen, ihr wachsender Einfluss hat sie zu einer Hassfigur gemacht und könnte eine ‘Fatwa’ ausgelöst haben…” Bin Laden persönlich, so die französische Quelle laut “Globe”, habe die Aktion geplant, Dianas Fahrer Henri Paul sei in den Plot verwickelt gewesen, als Agent von al-Qaida.

Verschwörungstheorien führen immer zum gewünschten Ziel. Erst haben die Amerikaner Pearl Harbor inszeniert, dann hat Bin Laden Lady Di umbringen lassen. Was die japanischen Flieger für die Amis waren, das war der französische Fahrer der englischen Prinzessin für die al-Qaida. Ein paar Details freilich, die weder im “National Enquirer” noch im “Globe” stehen, müssten noch geklärt werden. Am besten in einem seriösen Blatt wie der “Süddeutschen”. Willi Winkler, übernehmen Sie!

20.1.2002

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