Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

30.01.2002   12:04   +Feedback

Alaaf, Helau und Holocaust!

Es kann kein Zufall sein, dass der Höhepunkt der narrischen Saison - oder wie man im Rheinland sagt: der fünften Jahreszeit - auch in diesem Jahr mit dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus - Holocaustgedenktag - zusammenfällt. Kurz vor Rosenmontag, wenn die Humormaschine voll aufgedreht wird, feuern auch die Holocauster aus allen Rohren.


V.l.n.r.: Rafael Seligman, Iris Berben, Manfred Lemm und Jalda Rebling beim närrischen Treiben

Bei der Konrad Adenauer Stiftung fand auch in diesem Jahr der traditionelle “DenkTag” statt, zu dem “mehr als 23o Schülerinnen und Schüler” aus der halben Bundesrepublik eingeladen wurden, die sich über eine Klassenfahrt in die Hauptstadt bestimmt sehr gefreut haben, obwohl sie “jüdische Einrichtungen und Gedenkstätten” besichtigen mussten. Dazu gab es ein “Kulturprogramm” mit lebenden Juden: Jalda Rebling, die schon vor der Wende in der alten DDR ihr unschuldiges Publikum mit jiddischer Folklore quälen durfte, trug “alte traditionelle jüdische Lieder, talmudische Geschichten, jüdische Poesie” vor. Die TV-Journalistin und Moderatorin Alice Brauner-Orthen stellte ihren Vater Artur Brauner vor, der als “Filmproduzent, Autor und Zeitzeuge” immer nur von sich erzählte.

Dann gab es noch die bei solchen Anlässen unvermeidliche Lesung mit Rafael Seligmann, der als Autor des Buches “Der Meisterjude” angekündigt wurde, womit der Konrad Adenauer Stiftung eine schöne Freudsche Fehlleistung gelungen war, denn Seligmanns Buch heißt “Der Musterjude”, aber “Meisterjude” ist auch nicht schlecht, weil der “Autor und Publizist” inzwischen eine Agentur “Rent A Jew” betreibt, mit der er sich selbst vermarktet - als Jude zum Anfassen für öffentliche Anlässe.

Weil Erinnerung weh tun muss, dachte sich auch die Evangelische Gemeinde zu Berlin etwas Fieses aus. “Erinnern für die Zukunft”, einen “interkulturellen Workshop” mit Jugendlichen aus Spandau, Fürstenwalde und jungen Berliner Kurdinnen und Kurden, die schon immer etwas über den Holocaust wissen wollten, aber niemand kannten, den sie fragen konnten. Alle diese Jugendlichen wurden sechs Tage in der Bildungsstätte der Evangelischen Jugend in Wünsdorf bei Berlin eingesperrt, um gemeinsam mit dem “Sänger und Komponisten Manfred Lemm Lieder in Jiddisch und Hebräisch einzustudieren”, denn: “Das jiddische Lied ist in besonderer Weise geeignet, Jugendlichen Achtung und Toleranz vor anderen Kulturen zu vermitteln”.

Optimal wäre es natürlich, wenn Karl Moik oder Gotthilf Fischer a bissel jiddeln würden, aber Manfred Lemm hat die Lücke schon besetzt Er surft seit Ewigkeiten auf dem Juden-Ticket durch die Multikulti-Landschaft, würde er usbekische oder honduranische Lieder vortragen, müsste er es daheim tun, aber weil er so tut, als würde er jiddisch singen und weil seine Zuhörer es auch nicht besser können, wurde er letztes Jahr mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.

Kein Witz, ist wirklich passiert. Und wo Jalda Rebling, Rafael Seligmann und Manfred Lemm rumhopsen, da kann auch Iris Berben nicht weit weg sein, denn “die international bekannte Schauspielerin setzt sich seit langem für eine aktive Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und gegen eine Verharmlosung und Verdrängung des Holocaust ein.” Ohne den ständigen Einsatz von Iris Berben wäre der Nationalsozialismus längst rehabilitiert, der Holocaust vergessen und Iris Berben nur eine Betriebsnudel unter vielen im Telefonregister von Beate Wedekind.

Nun tritt Iris Berben wieder “gegen das Vergessen und gegen die Gewalt” an. Mit einer “engagierten Theaterproduktion”, in der “Äußerungen von Täter und Opfer direkt gegenüber” gestellt werden. Wird sie uns etwas aus dem Leben von Dieter und Naddel erzählen? Oder wie es in den Kulissen von Big Brother wirklich zuging? Nein, Iris Berben wird aus den Tagebüchern von Anne Frank und Joseph Goebbels lesen, begleitet von einem Pianisten, der “verfemte Musik” spielt. Da kommt endlich Leben ins Geisterhaus, Anne und Joseph grüßen gemeinsam aus der deutschen Gruft. So ein Vorhaben muss natürlich im voraus für koscher erklärt werden, am besten vom Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Paul Spiegel. Der, heißt es in der dazu gehörigen Pressemitteilung, “unterstützt” das Projekt. Aber Spiegel weiß von nichts. “Mir war bis dato diese Produktion nicht bekannt, ich kann sie daher auch nicht unterstützen,” teilt er auf Anfrage mit. Macht nix. Wenns schief geht, wird Rafael wieder lesen, Manfred singen und Iris ihre Höschen zeigen. Im Karneval und gegen das Vergessen ist alles erlaubt.

HMB, 3o.1.2oo2

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