Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2002   12:06   +Feedback

USA-Tagebuch

Nation im Alarm-Zustand USA-Tagebuch Winter 2001/02

Im Schatten der Nicht-Türme

Was immer in der Welt passiert, Art Spiegelman bleibt ein Kettenraucher. Kaum ist er mit einer Zigarette fertig, zündet er sich die nächste an. “Seit dem 11. September bin ich noch mehr ‘skitterish’ als vorher”, sagt er und nimmt einen tiefen Lungenzug.

Es gibt, wie immer, good News und bad News. Die gute Nachricht ist: Sein letzter Comic-Band, den er mit seiner Frau Francoise zusammengestellt hat, ist eben in Deutschland erschienen. Die schlechte Nachricht ist: Art kann nicht deutsch, also sorgt er sich, die Texte zu den Bildern könnten nicht so übersetzt sein, wie er es gerne hätte. Was nicht einfach ist. Wie würde zum Beispiel “skitterish” auf Deutsch heißen? Nervös, unruhig, fahrig?

Art Spiegelman mit dem von ihm gestalteten “New Yorker”-Cover (Foto: Henryk M. Broder)

Das Problem hatte er schon einmal, 1989, als sein Comic “Maus” in Deutschland erscheinen sollte. Es war die Geschichte eines Holocaust-Überlebenden, der nach dem Krieg in die USA kommt, eine Familie gründet und mit der Erinnerung an den Krieg und die Zeit im KZ nicht fertig wird. Es war die wahre Geschichte von Art Spiegelmans Vater, Wladek Spiegelman, und als das Buch vorlag, gab es sowohl in den USA wie in Deutschland heftige Debatten darüber, ob man ein so ernstes Thema als Cartoon erzählen darf. Als besonders anstößig galt, dass die Juden als Mäuse, die Deutschen als Katzen, die Polen als Schweine und die Amerikaner als Hunde dargestellt wurden.

Es war ein Glück, dass sich die Bedenkenträger nicht durchsetzen konnten. Denn “Maus” ist nicht nur ein großes Kunstwerk, sondern auch eine genaue Dokumentation über das mühsame Leben nach dem Überleben und darüber, wie die Leiden und Schmerzen von den Eltern an die Kinder weiter gegeben werden. Art Spiegelman, 1948 in Schweden geboren und in New York aufgewachsen, wurde mit “Maus” berühmt, das Buch in zwei dutzend Sprachen übersetzt. Letztes Jahr erschien es in Polen, wo es die üblichen Proteste und in Krakau sogar eine öffentliche Bücherverbrennung gab. “Die Polen hatten nichts gegen den Cartoon an sich, sie wollten nur nicht in der Geschichte als die Schweine vorgeführt werden.”

Spiegelman-Comic (Foto: Henryk M. Broder)

Jetzt hat sich Art wieder Großes vorgenommen, einen Comic über das Leben in New York nach dem 11. September, den er für eine deutsche Wochenzeitung schreiben und zeichnen wird. “Zehn Folgen, jeweils eine ganze Seite.” Einen Arbeitstitel hat er schon: “Fact and Phantasy of Living in the Suburbs of Ground Zero” oder kürzer: “In the Shadow of No Towers.”

Art wohnt einen Block nördlich der Canal Street, zehn Gehminuten von Ground Zero entfernt. Am 11. September hörte er im Radio, dass etwas passiert war und raste in die Schule seiner Tochter, vier Blocks nördlich der beiden Türme. “Dort sah ich, wie ein Turm kollabierte und ich dachte: Das war’s, wir werden alle sterben.” Der Staub hatte sich noch nicht gelegt, und Art schon das Titelblatt für die nächste Ausgabe des “New Yorker” fertig: Ein Phantombild, schwarz in schwarz, man muss schon sehr genau hinsehen, um die beiden Türme zu erkennen.

Kettenraucher Spiegelman (Foto: Henryk M. Broder)

Von dem Cover wurden 500 Poster gedruckt, die von Art signiert und für 300 Dollar das Stück über eine Radiostation verkauft wurden. So kamen 150.000 Dollar für den Hilfsfond zusammen. Im vorletzten “TV-Guide”, der größten Programmzeitschrift der USA, kehrte Spiegelman wieder zum klassischen Comic zurück. Er zeigte eine Familie, die am 11. September vor dem Fernseher sitzt und mit vor Schrecken nach oben gesträubten Haaren einschläft. “Das ist unsere neue Normalität, wir wissen, was passiert ist und warten darauf, dass jeden Moment wieder etwas passiert.” Im Amerikanischen klingt das richtig nett : “The other shoe could drop out of the sky at any moment.”

Im Gegensatz zu Erica Jong hat sich Art Spiegelman mit George W. Bush nicht ausgesöhnt. Das Einzige, das er an den Republikanern schätzt, ist der Umstand, dass sie die Tabakindustrie nicht bekämpfen, wie es die Demokraten tun. Ansonsten hält er nicht viel von Bush und seiner Truppe. “Die Wahl wurde von einem Richter entschieden.” Und ohne den Krieg in Afghanistan wäre Bush politisch schon am Ende.

Spiegelman bei der Arbeit (Foto: Henryk M. Broder)

“Das sind alles Opportunisten und sie haben die Gunst der Stunde für sich genutzt.” Er habe kein Vertrauen in die Regierung, sagt er und zündet sich wieder eine Zigarette an. “Ich werde von zwei Seiten terrorisiert, von al-Qaida und von unserer Regierung, die uns anlügt, weil sie ihre Freunde in Saudi-Arabien schonen will.” Und Osama Bin Laden? “Der hat sich den Bart abgenommen und arbeitet längst als Kellner im Plaza Hotel.”

Fest steht nur: Die beiden Türme des WTC sind nicht mehr da. Oder genauer: “Sie sind noch da, aber unsichtbar”, wie auf dem schwarzen Cover des “New Yorker”. Ob er mal daran gedacht hat, New York zu verlassen, aufs Land zu ziehen? “Wenn man in New York leben und mit der Situation fertig werden will, muss man sie vedrängen. Die Alternative wäre Montana. Oder Nevada. Aber ich lebe lieber sechs Monate in New York als 60 Jahre in Montana oder Nevada.”

20.1.2002

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