Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

20.01.2002   12:06   +Feedback

USA-Tagebuch

Nation im Alarm-Zustand USA-Tagebuch Winter 2001/02

Play it again, Woody!

Er ist es! Er ist es wirklich! Klein, schmächtig, mit einem zerknitterten Gesicht hinter einer großen Hornbrille, durch die er hilflos in die Welt schaut. Jeden Montag tritt Woody Allen mit seiner Klarinette im Carlyle Café auf.

Klein, schmächtig und zerknittert: Er ist es (Foto: Henryk M. Broder)

Ich habe mal in einem Café neben Susan Sarandon gesessen und sie nicht erkannt, weil sie ganz anders aussah, aber Woody Allen sieht wirklich aus wie Woody Allen. Da sitzt er auf der kleinen Bühne im Café Carlyle und hält sich an seiner Klarinette fest. Wenn er spielt, bewegt er seinen Oberkörper auf und ab und dreht den Kopf hin und her. Wenn die anderen Musiker dran sind, sitzt er unbeweglich da, den Kopf gesenkt, und wirkt, als würde er dösen. Dann wacht er wieder auf und setzt zu einem Solo an. Er gönnt dem Publikum keinen Blick, obwohl nur Fans zu seinen Füßen sitzen. Er ignoriert sie, sie schmachten ihn an.

Wenn er nur mal lächeln oder sonst ein Zeichen geben würde, dass er sie wahrgenommen hat! Macht er aber nicht. Woody spielt nur für sich. Zwischen den Stücken unterhält er sich im Flüsterton mit seinen Musikern, und wenn er das Blättchen im Mundstück der Klarinette wechselt, dann nimmt er die Brille ab und führt das Instrument ganz nah an seine Augen, wie ein Uhrmacher eine defekte Uhr.

Die einen täten alles für ein Autogramm von Woody, die anderen für eines der Pianistin (Foto: Henryk M. Broder)

Es soll Touristen geben, die tagelang die East Side Manhattans absuchen, in der Hoffnung, irgendwo Woody Allen zu finden. Und es soll kleine, schmächtige Männer mit zerknitterten Gesichtern geben, die sich als Woody Allen ausgeben, um ab und zu eine Touristin abzuschleppen. Wir aber erleben den echten Woody mit Eddy Davis und seiner New Orleans Jazz Band im Café Carlyle, und wie jedes große Erlebnis hat auch dieses seinen Preis: “$ 75.- cover per person”, Speisen und Getränke extra. Am Ende der Show legt der Ober die Rechnung auf den Tisch. Für den Betrag könnte eine vierköpfige Familie aus Wuppertal eine Woche am Schwarzen Meer in Saus und Braus leben, alles inklusive.

Der Stadtneurotiker und die New Orleans Jazz Band im Café Carlyle (Foto: Henryk M. Broder)

“Ich kann es nicht glauben”, murmelt Sabine, die als Praktikantin nach New York gekommen ist und eine Weile in einem jüdischen Altersheim gearbeitet hat, “Tom Wolfe und Woody Allen an einem Abend, ich glaube, ich muss sterben.” Auf dem Weg zu Woody Allen hat sie auf der Straße Tom Wolfe getroffen, ihn gleich angesprochen (“I adore you!”) und ihm eine Visitenkarte mit ihrer E-Mail Adresse in die Hand gedrückt. Sie würde gerne auch Woody Allen ansprechen (“You are my hero!”), traut sich aber nicht. Volker glaubt, er sitzt im Kino, er kann es nicht fassen, dass der Stadtneurotiker wirklich Klarinette spielt, Ashkan macht sich für einen Paparazzi-Schuss bereit, ich überlege, ob und wie ich die Pianistin um ein Autogramm bitten könnte. Sie sieht rasend gut aus.

Nach dem 11. September ist Allen zu Hause geblieben, dreimal fiel der Woody-Montag im Café Carlyle aus. Nun spielt er wieder, den “Wild Man Blues”, “Swinging from the Star” und “Yaaka Hula Hickey Dula”. Nach einer guten Stunde packt er seine Klarinette ein und verschwindet durch die Bar. Draußen wartet ein Mercedes mit Fahrer. Es ist zehn Uhr abends und es schneit. Alles wird, wie es mal war.

20.1.2002

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