Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

22.08.2002   13:03   +Feedback

Abi allein zu Haus

Ich weiß nicht, seit wann ich Abi kenne, aber es ist schon eine lange Zeit. Seine Eltern lebten in den 6oer Jahren in Köln, meine auch. Unsere Mütter kannten sich, vermutlich noch aus Polen oder von der Empore der jüdischen Gemeinde. Abis Vater hieß Joseph Melzer, war ein kleiner, 

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untersetzter Mann voller Energie und Wut auf alles, das seinen Weg kreuzte. Er hatte einen Verlag und verlegte Bücher für Liebhaber: Judaica, Texte von Börne und Seume, die er mit viel Kenntnis zusammenstellte, die aber nur wenige lesen, noch weniger kaufen wollten. Der alte Melzer war im besten Sinne verrückt, ein Büchernarr, der Heine und Spinoza verehrte, sich über den Opportunismus der Juden in Deutschland aufregte und bei jeder Gelegenheit brüllte: “Die Deutschen haben die Juden bekommen, die sie verdienen!” Mein erstes Buch - “Wer hat Angst vor Pornografie?” - erschien bei Melzer, ich glaube, es war 197o, ich war darüber so froh, dass ich vergaß, ein Honorar zu verlangen.

Anfang der 7oer Jahre (alle Jahresangaben ohne Gewähr, mein Archiv und ich sind gerade getrennt) verlegte Melzer seinen Verlag nach Darmstadt. Er glaubte, in der Nähe der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mehr Aufmerksamkeit und Anerkennung für seine verlegerische Arbeit zu bekommen. Und Melzer hatte Glück, wenn auch ganz anders. Er fand einen jungen Verlagsleiter, Jörg Schröder, dem Börne und Seume egal waren. Statt Klassiker auszugraben, entdeckte er in Frankreich einen SM-Roman - “Die Geschichte der O.”, der zu einem Mega-Seller wurde. Es war der erste Kunst-Porno, der praktisch ungehindert in der Bundesrepublik erschien. Damit hätte Melzer seinen Verlag sanieren und sich zur Ruhe setzen können. Aber mit Geld konnte er nicht umgehen. Außerdem verkrachte er sich mit seinem Verlagsleiter oder andersrum: Schröder verkrachte sich mit Melzer, räumte die Regale aus und machte seinen eigenen Laden auf, den März Verlag, heute eine Buch-Legende in gelb-rot.

Ich weiß nicht mehr, in welchem Jahr es war, aber ich erinnere mich gut, wie ich damals zu Melzer raste und wie wir mit ein paar Helfern aus den Resten, die Schröder zurückgelassen hatte, den neuen Melzer Verlag zusammen klebten. Es war Abis große Stunde, er konnte aus dem Schatten seines Vaters treten sich als Verleger bewähren. Er machte ein Riesenfass auf, stellte Leute ein und brachte mehr Bücher auf den Markt, als er verkaufen konnte. Jeder wusste, dass er den Verlag über Wasser hielt, indem er manche Rechnung nicht bezahlte. Wenn es kritisch wurde, wechselte er den Drucker. Aber keiner nahm es ihm übel, denn andere Verleger, die langweiligere Bücher produzierten, machten es genauso, und Abi war ein unterhaltsamer Brausekopf, der gerne Hof hielt, immer ein offenes Haus und viele Ideen hatte. Als Schröder seine Olympia-Press gründete (eine monatlich erscheinende literarische Porno-Bibliothek) reagierte Abi mit einem ähnlichen Projekt und nannte es Zero-Press. Nebenbei stellte er Porno-Bilderbücher her, für die er die halbe Frankfurter Hippie-Szene beschäftigte, u.a. eine Künstlerin namens Fatima, die alles herzeigte, was man damals nicht sehen durfte.

Aber damit gab sich Abi nicht zufrieden. Wie schon sein Vater hatte er eine wilde Wut im Bauch auf die “Hof-” und “Alibijuden”, die sich der deutschen Regierung zur Verfügung stellten, um den Ruf der Bundesrepublik zu sanieren, Deutschland wieder “koscher” zu machen. Unser Lieblingsfeind war der Obermufti des Zentralrates, Werner Nachmann, von dem wir immer schon wussten, dass er durch und durch korrupt war, bis sich nach seinem Tod herausstellte, dass er tatsächlich über 3o Millionen Mark aus einem Wiedergutmachungsfond veruntreut hatte. Schon Ende der 6oer / Anfang der 7oer Jahre hatte Abi eine Zeitschrift gegründet (“KONTAKTE”), mit der er die deutsch-jüdische Szene aufmischen wollte, er schrieb Leitartikel, ich lieferte Beiträge.

Es erschienen vier Ausgaben, dann war das Projekt finanziell am Ende. In den 8oer Jahren trafen wir uns öfter in Tel Aviv. Abi kam aus Frankfurt rüber, um seinen Reservedienst in der israelischen Armee zu leisten. Auch wenn er frei hatte, lief er gerne in Tarnkleidung rum und sah aus wie Fossybär an der Goulaschkanone. Er kannte halb Tel Aviv, und wie in Frankfurt war dort, wo Abi grade war, immer was los. Wann Abi die Idee hatte, sich wieder in den deutsch-jüdischen Zirkus zu stürzen, weiß ich nicht mehr, ich weiß aber noch, was der Auslöser war. Er fand irgendwo eine alte Postkarte (aus dem ersten Weltkrieg), auf der eine Titelseite der TIMES zu sehen war, gespiegelt, so dass der Titel SEMIT ergab. Schon lange vor dem 3. Reich waren die Antisemiten überzeugt, dass überall und hinter allem die Juden steckten. Also beschloss Abi, eine Zeitschrift zu machen, die SEMIT hieß. Einerseits, um das Ressentiment zu entlarven, andererseits um es zu bestätigen.

SEMIT erschien regelmäßig-unregelmäßig, wann immer genug Texte da waren und Abi eine Ausgabe finanzieren konnte. SEMIT hatte kein Konzept, kein Programm und kein Ziel. Abi druckte einfach alles, es war eine Mischung aus “Wachturm”, ” Fix und Foxi” und “Edeka-Post”, von allem ein wenig und für jeden etwas. Abis Lieblingsfeinde waren noch immer die “Hof-” und “Alibijuden”, die er vor sein privates Tribunal zerrte, um sie wegen Verrats abzuurteilen. Irgendwann muss er vollkommen die Orientierung und den Sinn für Relationen verloren haben. Im Golfkrieg stellte er sich hinter Ströbele, der in einem Interview mit mir gesagt hatte, die irakischen Angriffe auf Israel seien eine logische Folge der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern, also wohl verdientes Unglück. Ströbele hätte Recht, ich hingegen ein “Brett vor dem Kopf”. Da trennten sich unsere Wege, ich stellte meine Mitarbeit bei SEMIT ein. Wenn es sich nicht vermeiden ließ, winkten wir uns bei der Buchmesse aus sicherer Entfernung zu. Bald schlug auch für den SEMITEN die letzte Stunde, Abis Hoffung, einen Sponsor zu finden, der sich in die redaktionelle Arbeit nicht einmischen würde, war eine Illusion. Und Abonnenten, die das Blatt hätten finanzieren können, gab es nicht genug.

Dann hörte man eine Weile nix von Abi, es hieß, er sei irgendwo im Bermuda-Dreieck von Sprendlingen, Buchschlag und Dreieich verschwunden, über sich die an- und abfliegenden Flugzeuge von Rhein / Main, hinter sich seine Gläubiger und vor sich die Frage: Was tun für die ökonomische Reproduktion? Diesmal hatte Abi die rettende Idee. Es gibt mehr Schlamm am Toten Meer, als Touristen vor Ort verbrauchen können. Mit ein paar Tonnen der grauen Pampe könnte man sämtliche Freunde der Naturkosmetik mühelos versorgen. Also beschloss er, Schlamm vom Toten Meer nach Deutschland einzuführen, er verpackt es in Dosen, Flaschen, Tüten und Tuben und macht daraus eine “Product-Line” für alle Tag- und Nachtfälle. Es sieht aus, als hätte er seine Bestimmung gefunden. Auf der Homepage seiner Firma (www.dead-sea.de) sehen wir ihn als fröhlichen Geschäftführer auf einem Hotelbalkon hoch über dem Jordantal. Er preist seine “Fachkompetenz in Sachen TOTES MEER” und wirkt zufrieden, als wollte er sagen: Es gehört alles mir! Bücher sind out! Schlamm ist in! 1.4oo Tonnen will er seit 1998 importiert und zu Cremes und Lotions verarbeitet haben.

Aber es muss Momente in Abis Leben geben, in denen er sich fragt: Was ist aus mir geworden? Er wollte ja ein bedeutender deutsch-jüdischer Verleger werden, kein Schlamm-Dealer. Und deswegen hat er den SEMITen vor kurzem reanimiert, im Internet. Da tobt er sich aus, wie er sich früher austobte, wenn wir in Jaffo in einem Cafe saßen und er mir erklärte, warum die meisten Menschen dumm oder korrupt oder dumm und korrupt sind: The World According to Abi. Leon de Winter: an “Zynismus und Gehässigkeit kaum noch zu übertreffen”, Biermann, ein Ignorant und Zyniker, Broder: das Allerletzte, getrieben von der “Angst um die eigene Existenz”. Gnade und Anerkennung vor Abis Auge finden nur wenige: Gestalten wie Uri Avneri und der Züricher Exil-Israeli Shraga Elam, der den Israelis immer wieder nachweist, dass sie die Erben der Nazis sind.

Nebenbei bittet Abi um Spenden von zehn Euro aufwärts (“SEMIT ist ein wichtiges Unternehmen, das ... gegen die ‘political correcness’ ankämpft…”) und bietet sich selbst für weitere Dienste an: “Wer sich dafür interessiert, Herrn Abraham Melzer für Vorträge zu buchen über: Israel - Nahost-Konflikt - Judentum - Juden in Deutschland - kann sich direkt bei herrn melzer melden unter ...” Das stelle ich mir wirklich komisch vor. Wenn Abi die Decke auf den Kopf fällt und er nur noch das Rauschen des Toten Meeres hört, dann steht er auf, geht vor die Tür seines Hauses, klingelt und ruft: “Kann ich bitte mal Herrn Melzer sprechen?” Dann rast er um das Haus, betritt es durch den Kücheneingang, flitzt zur Vordertür, macht sie auf und sagt: “Ich bin Herr Melzer, was kann ich für Sie tun?” Worauf er wieder zurück rennt, durch die Wohnung, in die Küche, um das Haus herum, hin zum Vordereingang. “Ich möchte gerne Herrn Melzer für einen Vortrag buchen.” Damit hat Abi nicht gerechnet. Wieder umrundet er das Haus, kommt leicht atemlos im Flur an und sagt: “Mal schauen, ob wir noch einen freien Termin finden.” In solchen Momenten wird Abi bewußt: Es gibt noch Leben im Toten Meer.

Henryk M. Broder, 22.8.2oo2

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