Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

04.09.2002   13:05   +Feedback

Der deutsche Weg

Twin Towers

Es ist Jahrzeit. Für 3.ooo Tote, Opfer von vier mörderischen Anschlägen. Das Fernsehen zeigt Dokumentationen über den Tag X, Augenzeugen erinnern sich, wie sie die schrecklichen Stunden erlebt und überlebt haben, Politiker ziehen eine vorläufige Bilanz. Die Bundeswehr darf in Kabul den Ernstfall üben, ohne die Grenzen der Stadt zu verlassen, nur für den Fall, dass die Amerikaner den Irak angreifen sollten, so der Verteidigungsminister, würden die sechs deutschen Gasspürpanzer “Fuchs”, die jetzt ihre Runden in der Wüste drehen, abgezogen und nach Hause geschickt. Denn deutsche Panzer sollen den Frieden sichern, nicht in Kriege verwickelt werden.

Es ist wie in dem alten K.u.K.-Witz mit dem Grafen Bobby. Der sitzt Ende 1918 in Wien in einem Gasthof und jammert: “Was haben wir für eine schöne Armee gehabt? Und was haben sie mit ihr gemacht? In den Krieg geschickt.”

So etwas darf einfach nicht wieder passieren. Bundeskanzler Schröder, der zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Worte gefunden und die “uneingeschränkte Solidarität” mit den USA ausgerufen hat, bringt die Bundesrepublik auf den “deutschen Weg” zurück. Soll heißen: Frieden schaffen ohne Waffen. Man müsse Druck auf Saddam Hussein ausüben, damit er die UN-Waffeninspektoren wieder ins Land lässt. Tolle Idee. Wie lange wird schon erfolglos Druck auf den irakischen Diktator ausgeübt? Und wie will man ihn dazu bringen, nachzugeben, wenn man die letzte Option, den Einsatz von Gewalt, von vorneherein ausschließt? Womit will man ihn in die Knie zwingen? Mit einem neuen Embargo? Keine Ferrero-Küsschen nach Bagdad, keine Ersatzteile für die Carrera-Rennbahnen der Saddam-Enkel und keine Gucci-Sonnenbrillen für Saddams Leibwächter. Das wird den Mann, der bis jetzt auf weit über 1oo Milliarden Dollar Öl-Einnahmen verzichtet hat und dennoch in Saus und Braus lebt, davon überzeugen, dass er UN-Kontrollen seiner Waffendepots akzeptieren muss. Das ist die närrische Logik des deutschen Weges: Nachdem deutsche Firmen maßgeblich dazu beigetragen haben, Saddam aufzurüsten, weigert sich die deutsche Politik, ihn abzurüsten - es sei zu gefährlich, die Folgen seien unabsehbar. Während bei der vorausgegangenen Aufrüstung die Folgen nicht nur kalkulierbar waren, sondern billigend in Kauf genommen wurden.

Gäbe es eine Olympiade für Besserwisser und Ratgeber, die anderen immerzu sagen, wo es lang geht, bei der Siegerehrung müsste laufend die deutsche Nationalhymne gespielt werden. Zur Zeit des Golfkrieges schrieben deutsche Friedenskämpfer offene Briefe an ihre Freunde in Israel, wie wichtig es für den Frieden wäre, dass Israel auf den Beschuss mit irakischen Skud-Raketen nicht reagiert, um den Konflikt nicht zu eskalieren. Zugleich reisten deutsche Hausfrauen nach Bagdad, um mit ihren fülligen Leibern den lieben Saddam zu beschützen. Der hat einen Schnäuzer und streichelt Kindern gern über den Kopf.

Auch nach dem 11. September dauerte es nicht lange, bis deutsche Vor- und Nachdenker das kleine Blutbad in die richtige globale Perspektive eingeordnet hatten. “Die US-Politik hat in der Nachkriegszeit mehr Menschenleben gekostet als alle Terroranschläge zusammen, zuzüglich jener, die mit US-Unterstützung begangen wurden”, schrieb ein Kommentator in der taz.

“Haben wir immer noch nicht verstanden, dass die westliche Demokratie jene Lebensform ist, in der man für seinen Feind verantwortlich ist - weil dieser die eigene Praxis wiederspiegelt?” räsonierte der Philosoph Peter Sloterdijk in Focus.

“So bedauerlich der Tod von 7.ooo Menschen in New York ist, gemessen an dem, was sonst noch geschieht auf der Welt, handelt es sich vergleichsweise um eine Lappalie”, notierte Wiglaf Droste, sonst rund um die Uhr ein großer Moralist, in seinem “Kriegstagebuch”.

Und erst vor kurzem hat die Theologin Dorothee Sölle, die sich am liebsten mit den Armen und Ausgebeuteten der ganzen Welt solidarisiert, erklärt, die Zerstörung der Türme des World Trade Center sei “eine Analogie zum Einsturz des Turms zu Babel”. Beide Bauwerke seien aus dem gleichen Grund zerstört worden, weil sich die Menschheit nicht mehr verstanden habe. “Es ist schlimmer geworden in der Welt, die Verelendung nimmt weiter zu.”

Das stimmt zwar nicht, aber es klingt immer gut. Der praktische Wert solcher Überlegungen, von Sölle bis Sloterdijk, von Droste bis Wickert (“Ruanda war schlimmer!”) liegt darin, dass sie den Terror vollkommen ignorieren, er kommt nicht einmal als Begriff vor. Die Türme sind in sich kollabiert, ohne jede Fremdeinwirkung. Am Ende sind nicht die Täter, sondern die Opfer schuldig, die allein durch ihr Auftreten (“Die Arroganz der Macht”) die Taten provoziert haben. Und wie viele Menschen auch sterben mussten, es wurden nur, auch das konnte man überall lesen und hören, “Symbole angegriffen”, das WTC und das Pentagon. So logen sich deutsche Intellektuelle die Wirklichkeit zurecht, bis sie wieder in ihr Weltbild passte.

Es hat sich wenig geändert in Deutschland seit dem 11. September 2oo1. Ein paar Gesetze wurden geändert, ein paar mutmaßliche Terroristen verhaftet, Synagogen und amerikanische Einrichtungen werden noch schärfer bewacht. Mehr ist nicht. Auch nach dem Tod von 11 deutschen Touristen auf Djerba fehlt jedes Gefühl von eigener Bedrohung. Gefährlich wird es nur, wenn die Amis Onkel Saddam mit Krieg drohen. Was ist, wenn eine amerikanische cruise missile am Potsdamer Platz statt in Saddams Schlafzimmer landet? Was passiert, wenn Saddam seine Waffendepots, die er angeblich gar nicht hat, aufmacht und aktiviert?

Wir werden es erleben. Spätestens wenn die Teilnehmer der Love Parade das große Fest der Liebe in ABC-Schutzanzügen feiern, wird auf dem deutschen Weg die Hölle los sein.

Henryk M. Broder, Berlin, 4.9.2oo2

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