Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

19.09.2002   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche

Michael Degen, Schriftsteller

Auf der langen Liste der immerwährenden Peinlichkeiten kommen schreibende Schauspieler gleich nach singenden Sportlern. So lange sie nur ihre Erinnerungen oder Kochrezepte aufschreiben, hält sich das Ärgernis in Grenzen, aber manchem steht der Sinn nach Höherem.

Deswegen hat auch Michael Degen einen Roman geschrieben, “Blondi”, 495 Seiten dick und zwischen zwei feste Buchdeckel gebunden. Letzten Dienstag saß er bei Kerner und erzählte, er habe “ein Märchen” erzählen wollen, dann hörte man ein grummelndes Geräusch im Studio, aber es war nicht der Moderator, der nach Luft japste, es waren die Gebrüder Grimm, die sich hilflos im Grabe drehten.

Degens Märchen fängt, na klar, in Auschwitz an, genauer: in der Gaskammer, wo eine Fuhre Juden vom Leben zum Tode befördert wird, darunter auch eine Frau, die mit einem Transport aus Berlin gekommen ist. Und wie in dem englischen Sprichwort “Hanging concentrates your mind” geht auch in der Gaskammer die Post ab: “Der männliche Teil meiner Nachbarn drängte sich mit eregierten Penissen an mich und jemand versuchte, hebräisch Gott anflehend, zwischen meine Beine zu gelangen, um in einer Art obskurem Todeskampf einen allerletzten Koitus zu ergattern.”

Die unnette Aufdringlichkeit ihrer Leidensgenossen hindert die Frau nicht daran, über grundsätzliche Dinge nachzudenken. “Der Tod ist vulgär, entzieht dem Körper jeden Charme”, “erstaunlich, wie sich die Zeit zwischen dem Leben und dem Sterben hinzieht.” Die Frau weiß, wovon sie redet, sie hat schon ein paar mal gelebt, u.a. in Babylon-Stadt, wo sie “eine der berühmtesten Huren auf dem babylonischen Strich war.” Auch nach ihrem Ableben in Auschwitz kommt sie zurück, doch diesmal, shit happens, in Gestalt eines Hundes, genauer: einer blonden deutschen Schäferhündin, die von “Onkel Adolf” adoptiert wird.

Und so bekommt “Blondi” das ganze Dritte Reich aus nächster Nähe mit. “Aus einer sprachgewandten Jüdin… war eine sprachlose Hundeseele geworden.” Blondi kann zwar nicht sprechen, aber sie versteht jedes Wort, das in ihrer Gegenwart gesprochen wird. So sagt z.B. “der Großmächtige” (alias Onkel Adolf), während er ihren Rücken tätschelt: “Hunde sind die besseren Menschen”, und auch bei den “Tischgesprächen” und der “Mittagstafel” bekommt Blondi, unter dem Tisch liegend, Informationen aus allererster Hand. “Diese Tischgespräche konnten sich über Stunden hinziehen, aber sie wurden allmählich zu den interessantesten meines langen Hundetages.”

Aber auch außerhalb des Hauptquartiers, in der freien Natur, gab es was zu erleben. Beim Auslauf stolpert Blondi über “ein Paar Zweibeiner, eng ineinander verkeilt”. Es sind “Onkel Adolfs engste Gespielin” und “Hermännchen”, die es miteinander treiben. Blondi schaut sich die Vorstellung eine Weile an, hört wie “Hermännchen” sagt, “dass Onkel Adolf nur ein Ei hätte” und wirft einen Hundeblick in den Abgrund von menschlicher Untreue: “Sie lag völlig verschreckt in der selben Stellung, die sie unter ihm eingenommen hatte. Ich betrachtete ihre offene, glitzernde Spalte, das blonde, dreieckige Fell darüber, die etwas verschwitzte, helle Haut ...”

Auch beim Attentat in der Wolfsschanze ist Blondi dabei und überlebt es ebenso wie Onkel Adolf unverletzt. Dann geht es zurück in die Hauptstadt, wo Blondi in der Reichskanzlei nicht von der Seite des Großmächtigen weicht. Sie ist auch zugegen, als der von seinem Leibarzt Dr. Morell untersucht wird. Dabei macht Blondi eine sensationelle Beobachtung. Onkel Adolf war nicht nur “ein echter Eineiiger ... , er war beschnitten. So schien es jedenfalls. Und zwar absolut fachmännisch. Wenn es kein Zufall war ... , dann stand hier der Führer aller Germanen mit dem Symbol des Alten Bundes vor mir.”

Nach dieser Entdeckung wird man die Geschichte des Dritten Reiches neu schreiben müssen. Dass mit Onkel Adolf etwas nicht koscher war, hat man schon immer vermutet, jetzt hängt der Beweis aus der Hose.

Und ganz zum Schluss kommt noch Gott zu Wort. Er habe, erklärt er, Blondi zu Onkel Adolf geschickt, in der Hoffnung, sie würde ihre Liebe zum Leben “auf ihn übertragen.” Leider hat es nicht geklappt, denn ich habe, sagt Gott, “ganz und gar vergessen, dass zwischen Hunden und Menschen nur eine sehr begrenzte Kommunikation möglich ist.”

Nobody is perfect, nicht einmal der Allmächtige. Er war nicht imstande, Onkel Adolf rechtzeitig aus dem Rennen zu nehmen, und er hat es nicht mal vermocht, Michael Degen daran zu hindern, das dümmste Buch dieses Herbstes zu schreiben. Lieber Gott, musste es sein? Und jetzt wird Degen noch Schmock der Woche. Ein Unglück kommt selten allein.

19.09.2002

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