Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

08.10.2002   13:05   +Feedback

“kulturzeit” enthüllt Schwarze Listen in den USA

S E N S A T I O N    B E I    3 S A T

Wer ein Problem hat, bei dem weder die Bahnhofsmission noch die Heilsarmee helfen kann, sollte zum Hörer greifen und 06131 - 70 65 86 wählen, die Nummer der Redaktion von “kulturzeit” in 3sat/ZDF. Da wird ihm geholfen. “kulturzeit” ist das letzte revolutionäre Projekt im öffentlich-rechtlichen Raum, ein Vorabendasyl für die Guten und Gejagten dieser Welt. Wo immer eine afrikanische Theatertruppe gegen den Kolonialismus antritt oder ein Regisseur gefeuert wird, weil er seinen Etat überzogen und das Publikum vergrault hat, “kulturzeit” berichtet von der Front und legt den Finger in die blutende Wunden. Dabei kommen auch politische Themen ins Programm. Neulich hat die moderierende Hausfrau Tina Mendelsohn versucht, den israelischen Politologen Shlomo Avineri über die Situation im Nahen Osten zu interviewen. Das heißt, sie gab sich Mühe, ihm Antworten zu suggerieren, die sie hören wollte, bis dem lieben Shlomo die Geduld riss und er ihr sagte, sie habe keine Ahnung, worüber sie rede. Dabei fiel auch das passende Wörtchen “dumm”. Schon wegen solcher Highlights lohnt es sich, “kulturzeit” zu schauen, obwohl viele Pointen inzwischen vernutzt sind. Wenn z.B. Ernst Grandits moderiert, kann man sich entspannt zurücklehnen, langsam bis 12 zählen und schon ist es passiert, Grandits hat wieder"Turbokapitalismus” gesagt, seine Lieblingsinjurie gegen die Macht des Geldes. Denn der Ostmärker bezieht sein Honorar nicht in Euro oder Maria-Theresia-Talern, sondern in Gutscheinen, die er auf Kuba in Naturalien eintauscht, Zigarren, Zuckerrohr und Rum. So macht er sich die Finger nicht schmutzig. Noch mehr als der “Turbokapitalismus” treibt die “kulturzeit”-Autoren und Moderatoren eine andere Gefahr in den Betroffenheitswahn: die Folgen des 11. September für die Zivilgesellschaft. Nicht der Terror ist das Problem, sondern die Art, wie die USA auf die Bedrohung reagieren. Die größte Militärmacht der Welt befindet sich auf dem Weg in eine faschistische Diktatur, und die ersten Opfer dieser Entwicklung liegen schon überrollt am Straßenrand und schreien um Hilfe. Es sind amerikanische Intellektuelle, die im eigenen Land boykottiert werden und deswegen auf “kulturzeit” bei 3sat angewiesen sind, wenn sie sich frei und unzensiert äußern möchten. Zuletzt hat die Lerchenberger Bürgerwehr das Vorhandensein von “Schwarzen Listen” in den USA enthüllt. Eine Sensation! Und demnächst gibt es ein Interview mit Yeti, dem Schneemenschen, über den Turbokapitalismus in dünner Luft. Ernst Grandits feilt schon an der Moderation.

Von:hm broder An:ernst grandits Betreff:said

sehr geehrter herr grandits,

in der KZ-sendung von heute sagte edward said u.a., es gebe in in den USA schwarze listen, auf denen kritiker der regierungspolitik-politik geführt würden. ich nehme an, dass sie diese behauptung von prof. said (der übrigens nicht seit “einigen jahren” in den usa lebt, sondern den größten teil seines lebens dort verbracht hat und amerikaner ist) überprüft haben und wäre ihnen sehr dankbar, wenn sie mir mitteilen würden, wer diese listen führt und welche intellektuellen, schriftsteller etc. aufgrund dieser listen zum schweigen verurteilt worden sind. mit dank für ihre mühe und vielen grüßen

ihr hm broder

Von:ernst grandits An:hm broder Betreff:Re: said

Lieber Herr Broder,

ich habe ihre Bitte an den zuständigen Redakteur Kamran Safiarian (er hat das Gespräch mit Said geführt) weitergeleitet.

mit lieben Grüßeneag

PS: Ähnlich wie Said, haben sich S. Sontag, N. Chomsky und andere geäußert. Bekannt ist dass Frau Bush eine Organisation unterstützt, die kritische UNI-Professoren auf einen “Internet-Pranger” stellt. Vielleicht kann ihnen Herr Safiarian weitere Details nennen. Im WDR lief in diese Tagen eine Dokumentation: “Das andere Amerika”, in der diverse Anwälte und Bürgerrechtler sich ähnlich wie Said geäußert haben…

Von:hm broder An:ernst grandits Betreff:Re: said

lieber herr grandits,

vielen dank für ihre rasche wenn auch unbefriedigende antwort. ich kenne die statements von sontag und chomsky, die sich gerne als verfolgte dissidenten präsentieren. dem steht entgegen, dass sontags stellungnahme zum 11. sept, die in deutschland für so großes aufsehen sorgte, zuerst im new yorker erschien und dann erst in der faz und sämtliche beiträge von chomsky, die jetzt im europa verlag als buch erscheinen, in us-medien veröffentlicht wurden. es bleibt also bei meiner frage: wer führt die schwarzen listen und welche intellektuellen wurden “gelistet” und zum schweigen verurteilt.

mit besten grüßenihr hm broder

Von:Kamran Safiarian An:hm broder Betreff:Re: Fwd: said

Sehr geehrter Herr Broder,

vielen Dank für Ihre e-mail bezüglich unserer Sendung vom 12.9. Ernst Grandits hat mir die Beantwortung übertragen, da ich der Autor des Films bin.

Vielleicht erinnern Sie sich an meinen Namen, ich hatte Sie auch mal in die Kulturzeit eingeladen. Ich habe im Augenblick zwar keine schriftlichen Beweise für die Ausführungen SAIDS über schwarze Listen amerikakritischer Autoren, da er dies in einem kurz anberaumten Interview in die Kamera sagte. Er versicherte mir, dass das so sei und er es auch selbst erfahren habe. Ich habe dies auch als Aussage SAIDS kenntlich gemacht. Nichtsdestotrotz fliege ich morgen in die USA und werde dort verschiedene Intellektuelle (Walzer, Fukuyama, Dworkin, Walzer, Birnbaum) treffen und versuchen, die Ausführungen SAIDS zu hinterfragen und Beweise an Land zu ziehen. Nach meiner Rückkehr werde ich mich sofort bei Ihnen melden.

Mt freundlichen GrüßenKamran Safiarian

Von:hm broder An:Kamran Safiarian Betreff:Re: Fwd: said

lieber herr safriarian,

haben sie eine gute reise in die usa, viel spaß bei den gesprächen mit den us-intellektuellen, und vergessen sie bitte nicht, mir eine kopie der schwarzen listen mitzubringen, damit auch ich sehen kann, wer darauf steht. im gegensatz zu ihnen würde ich mich nicht bedingungslos auf die aussage eines mannes verlassen, der sogar seine eigene biografie gefälscht hat.

beste grüßeihr b.

Von:hm broder An:Kamran Safiarian Betreff:usa-reise

lieber herr safiarian,

ich hoffe, sie sind munter und gesund aus den USA zurück und haben auch die SCHWARZEN LISTEN mitgebracht, nach denen sie sich auf ihrer reise erkundigen wollten.

ich will annehmen, dass es sich nicht um ein sprachliches missverständnis handelt und die bestsellerlisten gemeint waren, auf denen man die arbeiten der kritischen intellektuellen finden kann, die offenbar darunter leiden, dass sie von g.w. bush nicht zum dinner ins weiße haus eingeladen werden.

ich habe in ihrem letzten beitrag über us-intellektuelle eine stellungnahme von edward said vermisst. dafür ist es ihnen gelungen, norman birnbaum zu interviewen. wenn ich sein genuschel richtig verstanden habe, hat er gesagt, die jüdische lobby würde die politik der us-regierung bestimmen, unterstützt von christlichen fundamentalisten, die sich einen dritten weltkrieg wünschen.

ich nehme an, dass sie - wie bei said - sich auch bei birnbaum darauf verlassen, dass er weiß, worüber er redet und nicht nur aus den “protokollen der weisen von zion”, letzte ausgabe kairo 2oo1, zitiert. oder wollten sie nur einen senilen emeritus, dem die haare aus nase und ohren wachsen, zu wort kommen lassen, um zu zeigen, wie abwegig intellektuelle argumentieren? wenn es so wäre, hätte ich einen interviewpartner für sie, der sich ebenfalls darüber beklagt, dass er in den usa nicht beachtet wird: den präsidenten der flat earth society in los angeles, der beweisen kann, dass die erde eine scheibe ist und die kugeltheorie eine erfindung der nasa, um durch gefakte mondlandungen (die in wirklichkeit in der kalifornischen wüste inszeniert werden) steuergelder zu verbrauchen. so was wäre doch für die kulturzeit ein ideales thema, noch toller als die schwarzen listen.

ich bin übrigens mitglied der flat earth society und autorisiert, interviews zu geben. wenn sie wollen, werde ich einen dreh finden, wonach die kugeltheorie von juden in die welt gesetzt wurde, gestützt von christlichen darwinisten oder antidarwinisten, was immer sie möchten, um die evolutionstheorie zu entkräften oder zu bestätigen.

stets zu ihren diensten hm broder

8.10.2002

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