Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

13.01.2003   12:04   +Feedback

Zaubern mit Goethe

D A S    L E T Z T E

Gestern waren wir bei Kentucky Fried Chicken, heute besuchen wir das Goethe-Institut, das ebenfalls weltweit operiert. Es betreibt 141 Filialen in 77 Ländern und macht mit etwa 3.3oo Mitarbeitern fast 2oo Millionen Euro Umsatz jährlich. Wir gehen also auf die Homepage des GI, klicken zuerst “Institute” und dann “weltweit” an und landen bei der Unterabteilung “Regionen”. Dazu gehört die Region “Naher Osten”. Ein Klick und schon sind wir da, in Amman, Beirut, Damaskus, Kairo, Alexandria und Ramallah.

Ist das alles, was es in der Region “Naher Osten” goethemäßig gibt? War da nicht noch was? Oder täuscht uns die Erinnerung? Hat es in Tel Aviv und in Jerusalem nicht ebenfalls Goethe-Institute gegeben? Wurden sie im Zuge der Sparmaßnahmen geschlossen? Oder privatisiert und laufen jetzt unter ganz anderen Namen? Wie das Institut des Berliner Künstlers Wolfgang Müller, das Walter von Goethe Foundation heißt und in Berlin und in Reykjavik aktiv ist.

Nein, so ist es nicht. Neben der Region “Naher Osten” finden wir die Region “Östliches Mittelmeer”. Mit den Goethe-Instituten in Ankara, Athen, Istanbul, Izmir, Thessaloniki - Jerusalem und Tel Aviv. Israel wurde einfach dem türkischen Imperium zugeschlagen, was historisch durchaus berechtigt ist. Thessaloniki war mal ebenso wie Jerusalem eine Stadt in den Grenzen des Osmanischen Reiches, so wie Königsberg und Colmar zum Deutschen Reich gehörten. Aber das ist schon eine Weile her.

Karte der Region "Naher Osten" auf der Homepage des Goethe-Instituts Karte der Region "Östliches Mittelmeer" auf der Homepage des Goethe-Instituts
Der nahe Ostennach Goethe Die Goethe-Region”Östliches Mittelmeer”

Ein Blick auf die dazugehörigen Landkarten macht klar, wie absurd die Aufteilung heute ist. Von Ramallah nach Jerusalem braucht man mit dem Auto zehn Minuten, von Istanbul nach Tel Aviv sind es fast zwei Flugstunden. Es ist, als würde jemand eine Region “Westliches Mittelmeer” erfinden und darunter Monaco, Barcelona und Algier zu einer geografischen Einheit zusammen fassen. So hat Goethe Israel aus dem Nahen Osten weggezaubert, wie ein albanischer Hütchenspieler die Kugel verschwinden lässt. Eben war sie noch da, schon ist sie weg.

Dabei hat Goethe nichts gegen Israel an sich, nur den lieben arabischen Freunden zuliebe hat man sich was einfallen lassen. Denn die fühlen sich durch das “zionistische Gebilde” noch immer furchtbar provoziert. Man muss sich das so vorstellen: Ein Fellache im Nildelta wacht morgens auf, geht als erstes an seinen Computer, um zu sehen, was es in seiner Region Neues gibt und landet versehentlich statt bei Goethe in Alexandria bei Goethe in Tel Aviv. Und schon ist ihm der Tag verdorben, denn er wurde wieder daran erinnert, dass die Zionisten Palästina noch immer besetzt halten. Daraufhin wird er furchtbar wütend, schmeißt alles hin und geht auf die Straße, um zu demonstrieren. Und das wäre nicht gut, denn es würde den Gedanken der Völkerfreundschaft, für den Goethe markenartikelmäßig da steht, gefährden.

Also ist es besser, wenn der Fellache morgens nicht wütend wird, keine Demonstration anfängt und statt dessen abends zu einem Vortrag bei Goethe kommt, über den Begriff der Toleranz in Lessings Werk oder die deutsch-jüdische Symbiose im 19. Jahrhundert. Das ist gut für ihn, gut für Goethe und irgendwie auch gut für Israel, das schon genug Ärger mit seinen palästinensischen Nachbarn hat.

So verbindet Goethe den Gedanken der traditionellen deutsch-arabischen Freundschaft mit dem Auftrag der besonderen deutschen Verantwortung für Israel. Die eine währt schon ewig und die andere bewährt sich täglich neu.

Henryk M. Broder, Augsburg, 13.1.2oo3

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