Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

03.01.2003   12:05   +Feedback

Brief an Jutta Limbach

D A S    L E T Z T E

henryk m. broder, berlin. 1.1.2oo3

frau prof. dr. jutta limbach präsidentin des goethe-instituts

sehr geehrte frau limbach,

der berliner “tagesspiegel” wie “die welt” berichteten vor kurzem über eine tagung der bundeszentrale für politische bildung in berlin, bei der auch sie anwesend waren. im laufe dieser tagung, so “die welt” und der “tagesspiegel” übereinstimmend, wurde der ehemalige leiter des goethe-instituts in ramallah und derzeitige direktor des goethe-instituts in damaskus gefragt, was er von palästinensischen selbstmordattentätern halten würde. er antwortete: “für mich sind palästinensische terroristen freiheitskämpfer!” auf nachfrage, ob er richtig verstanden worden wäre, bestätigte er: “das sind für mich freiheitskämpfer.”

sie haben an ort und stelle dieser ansicht nicht widersprochen, sich später allerdings von den ansichten ihres mitarbeiters distanziert und ihn “zur klärung einbestellt”. der vorfall liegt inzwischen fast drei wochen zurück, das ergebnis der “klärung” noch nicht vor. bei allem verständnis dafür, dass goethe in damaskus ein publikum bedienen muss, das für antisemitische propaganda empfänglich ist und auch die “protokolle der weisen von zion” gerne liest, empfinde ich als deutscher steuerzahler ein tiefes unbehagen darüber, dass ich die kultur-politischen aktivitäten eines goethe-mitarbeiters mitfinanziere, der sich so unverhohlen und ungeniert mit terroristen solidarisiert.

ich finde es auch ziemlich unerträglich, dass sie nicht umgehend reagiert und erst die reaktionen der medien abgewartet haben. was soll denn die “klärung” ergeben? dass der mann es so gesagt, aber ganz anders gemeint hat? dass er, nach möllemann-art, es zwar so gesagt hat, aber niemand verletzen wollte? wie lange würden sie einen mitarbeiter im amt dulden, wenn er in ihrem beisein erklären würde, die entführer und mörder von h.m. schleyer wären keine terroristen sondern freiheitskämpfer? ich sehe ein, dass - aus deutscher sicht - andere regeln gelten, wenn es sich bei den opfern von terroranschlägen um amerikaner, juden oder israelis handelt. die sind ja meistens selber schuld, wenn sie angegriffen werden. aber inzwischen scheint bei goethe nicht nur der verstand, sondern auch der anstand verloren gegangen zu sein.

nur so kann ich es mir erklären, dass der karlsruher philosoph peter sloterdijk demnächst wieder auf goethe-tournee gehen soll. sloterdijk hat vor kurzem über die anschläge auf das WTC gesagt: “Der 11. September ist ein Ereignis, das man in einer Unfallstatistik des Landes gar nicht wahrnehmen würde. Zwei oder dreitausend Tote innerhalb eines Tages liegen innerhalb der natürlichen Varianz.” (der standard, wien, 27.11.2oo2)

damit hat sich sloterdijk als ein würdiger vertreter des deutschen humanismus qualifiziert, der es verdient, von goethe gefördert zu werden. sie sollten es nicht versäumen, ihn auch nach damaskus zu schicken, wo er seine zweite aktuelle theorie präsentieren könnte: warum die usa und israel die eigentlichen “schurkenstaaten” der gegenwart sind. so was müsste doch innerhalb der “natürlichen varianz” des goethe-programms machbar sein. und wäre gewiss auch von großem nutzen für das ansehen ihres hauses in der dritten welt.

mit allen guten wünschen für das neue jahr ihr

03.01.2003

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