Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

14.01.2003   12:06   +Feedback

Datteln für den Frieden

D A S    L E T Z T E

Konstantin Wecker gab ein Konzert in der irakischen Hauptstadt - beinah hätte es niemand gemerkt.

Danke Alex! Mein Neffe war extra aus Paris angereist, um mir eine Super-Schüssel auf dem Balkon zu installieren, mit der ich sämtliche Eutelsat- und Astra-Kanäle empfangen kann, über 3oo Programme, darunter auch eine Menge Exoten wie Free Nepal TV und das Fernsehen der Republik von Transnistrien. Vorher hatte ich noch gewettet, dass er es nicht schaffen würde, das irakische Fernsehen reinzuholen, aber Alex, der keinen Führerschein hat, weil er beim Autofahren immer einschläft, drehte nur an ein paar kleinen Knöpfen an einem schwarzen Kasten und schon hatten wir es erwischt. “Bist du sicher, dass es nicht das arabische Programm der Deutschen Welle ist?” fragte ich, ebenso beeindruckt wie überrascht, “der Nachrichtensprecher sieht unserem Freund Rudi Lentz ähnlich.”

Aber es war nicht die Happy Hour bei der Deutschen Welle, es war wirklich Iraqi TV. Hinter dem Sprecher hing ein Porträt von Saddam Hussein und neben ihm stand, eine Kalaschnikow im Arm, ein Soldat und passte auf, dass der Sprecher nicht vom Text abwich. “Nur die Nachrichten werden live gesendet”, sagte Alex, “alles Übrige kommt vom Band”.

Es war kurz vor 19 Uhr in Bagdad, ein paar Minuten vor 17 Uhr in Berlin. Am Morgen hatte ich im Hotel Al Rashid in Bagdad angerufen und erfahren, dass Konstantin Wecker, “Deutschlands bekanntester Liedermacher” (Wecker über Wecker), tatsächlich inzwischen mit einer “German peace delegation” in der irakischen Hauptstadt eingetroffen war, “very tired but in a good mood”. Und dass er beabsichtigen würde, um 19 Uhr Ortszeit im “Künstlercafé” ein Konzert zu geben. Ob es vom irakischen Fernsehen übertragen würde, konnte der Mann an der Al-Rashid-Rezeption nicht sagen. “Maybe yes, maybe not, inschallah!”

Auf Weckers eigener Homepage (www.wecker.de) war zuletzt ein Konzert (“Stimmen gegen den Krieg und für den Frieden”) am 13.12. .2oo2 in Stuttgart angezeigt. Seit Wochen gab es Spekulationen, dass er, nach Gastspielen in Merzig, Gersthofen, Osterode, Cuxhaven und Vilshofen, unbedingt auch in Bagdad auftreten wollte. Am 8.1. sagte Wecker in einem Gespräch mit dem Deutschland-Radio: “Der eigentliche Grund unserer Reise ist, schon zu erreichen, um es mal ganz pathetisch zu sagen, den Krieg zu verhindern.”

Da hatte er sich echt viel vorgenommen, und da wir nicht eingeladen worden waren, mitzukommen, beschlossen wir, uns einen orientalischen Abend daheim zu machen. Ich holte bei Ali Baba am Winterfeldtplatz mehrere Portionen Humus, Falafel, Tabule, Tehina und Auberginenbrei, taute ein paar Pitas und Burekas auf, während Alex bei Aldi um die Ecke zwei Videokassetten von je drei Stunden Laufzeit besorgte. Dann kam Judith rüber und brachte den Nachtisch mit: eine Packung Datteln. Sie sahen nicht besonders gut aus und schmeckten wie Hundekekse, aber darauf kam es nicht an. Judith hatte die Datteln über die Homepage der “Gesellschaft Kultur des Friedens” (www.culture-of-peace.org) gekauft, die Weckers Reise nach Bagdad organisiert hatte. Es waren “irakische Datteln gegen Embargo und Krieg”, “im Süden des Irak beschafft und unter falschen Herkunftsangaben nach Italien geschmuggelt”, als “ein Akt des Widerstandes gegen den Krieg um das Erdöl”.

So saßen wir in Wilmersdorf, kauten Datteln, leisteten Widerstand, unterliefen das UN-Embargo und stärkten die irakische Wirtschaft. Alles auf einmal. Ich war gerade in der Küche, um arabischen Kaffee mit Kardamon aufzubrühen, als Alex plötzlich rief: “Das ist er!”

Tatsächlich, da war er, Konstantin Wecker, mit einer Gitarre im Arm. Er saß auf einem Stuhl auf einer viel zu großen Bühne, die mit irakischen Fahnen und Saddam-Hussein-Bildern voll gehängt war. Sollte dies das “Künstlercafé” sein? “Nimm es nicht so genau”, sagte Judith, “der Palast der Republik war auch nur eine große Laube.”

Es war nicht zu erkennen, ob Wecker gerade sang oder redete, weil die Kamera das “Café” in der Totalen zeigte und ein Sprecher aus dem Off irgendwas auf Arabisch erzählte. Aber zwei Worte kamen immer wieder vor: “Salam” (Frieden) und “Charb” (Krieg). Dann stand Wecker plötzlich auf, riss beide Arme nach oben und wurde vom Beifall überschüttet. Auch die Leute sprangen auf, reckten die Fäuste in die Höhe und vereinten sich in einem Sprechchor. Nach etwa zwei Minuten setzte sich Wecker wieder hin, es wurde still im Saal, und die Kamera - es gab offenbar nur eine - zeigte den Sänger in der Nahaufnahme. Er sah müde aber glücklich aus. Und dann sang er, nicht so kräftig, wie er es tut, wenn er sich am Klavier begleitet, aber voller Hingabe. “Wenn die Börsianer tanzen”, “Der Waffenhändlertango”, “Amerika”, lauter Wecker-Hits, die in Bagdad so klangen wie einst die Internationale am 1.Mai vor der Kreml-Mauer.

Die Lieder wurden mit Untertiteln ins Arabische übersetzt. “Ich hab’s gewusst”, sagte Alex, “es ist nicht live, das trauen die sich nicht”. Inzwischen war es 2o Uhr in Berlin, 22 Uhr in Bagdad. Wir hatten die Falafel und den Humus, die Tehina, die Tabule und den Auberginenbrei von Ali Baba restlos aufgegessen. Nur von den Embargo-Datteln war die halbe Packung übrig geblieben. Die heben wir uns zum nächsten Wecker-Konzert auf. Auf Wiedersehen in Pjöngjang!

Henryk M. Broder, Augsburg, 11.1.2oo3

Von: Reinhard Berlin An: Henryk M. Broder

Folgendes habe ich an den Spiegel geschrieben:

SPIEGEL-Online ist eine der meistgelesenen Seiten im Internet. Aber es ist schon erschreckend, wer diese Seite so alles liest - und dann reagiert. Man glaubt kaum, welche nazistischen Hetzparolen als eMail bei Konstantin Wecker oder in seinem Gästebuch landen - und alle beziehen sich mit großem Genuß auf den Broder-Artikel. Man will Wecker vergasen, Saddam soll ihm die Eier abschneiden - Das sind noch die geringeren Wünsche. Schon interessant, wie es Broder gelingt die miesesten Ressentiments aus der Nazikiste zu aktivieren.

Viele Grüße Reinhard Berlin Büro Konstantin Wecker

Von: Henryk M. Broder An: Reinhard Berlin

ich habe eben weckers website besucht und keine der von ihnen zitierten zuschriften gefunden. wären sie so nett, mir zu sagen, wo sie fündig geworden sind?

danke. b.

Von: Reinhard Berlin An: Henryk M. Broder

Hallo und Guten Abend,

Zuerst einmal etwas Grundsätzliches. Es gibt und gab in Konstantins Gästebuch natürlich immer beleidigende Einträge. Sie werden so etwas kennen.

Wir halten das Internet für ein Ur-demokratisches Medium und lassen in Absprache mit Konstantin (fast) alles stehen, da sich die schlimmsten Beiträge selbst entlarven. 3 Leute haben Zugriff auf das Gästebuch und können Beiträge löschen. Sicher haben sie die Beiträge gelesen, wo sich Leute über das Löschen beschwert haben.

Jegliche Nazi-Inhalte werden allerdings gelöscht. Unwiderruflich.

So wurden gestern zwei Beiträge von mir gelöscht, die KW eine Busfahrt in Israel mit einem Sprengstoffattentäter empfahlen. Der Eintrag “Eier abschneiden” wurde vom Archivar in München gelöscht. Vielleicht haben wir auch ein paar Einträge gelöscht, die KW selbst stehengelassen hätten (Zahlreiche Bezüge auf KWs frühere Drogenabhängigkeit). Sie wissen, daß Konstantin selbst dazu steht und seit 6 Jahren drogenfrei lebt und in dieser Zeit sicherlich für andere eher ein gutes als ein abschreckendes Beispiel sein kann.

Durch Ihren Beitrag haben sich zumindest viele Schreiber ins Gästebuch begeben, die nichts als Häme und üble Bemerkungen hinterlassen haben. Das ist natürlich kein Vorwurf an Sie, denn wir kennen solche Auswüchse seit Jahren.

Ich bin der Schwiegervater von Herrn Wecker und habe selbst zahlreichen anonyme Briefe erhalten (Warum lassen Sie zu, daß Ihre hübsche Tochter von dieser arschfickenden Judensau gevögelt wird).

Aber: Vielleicht sollten wir uns hier nicht über so einen Mist austauschen. Viel besser wäre doch eine Diskussion zwischen Ihren und meinem Schwiegersohn, in der Sie in fairem Meinungsaustausch Ihre sicherlich unterschiedlichen Auffassungen zum bevorstehenden Krieg darstellen könnten. Konstantin wegen seiner jetzigen Reise unlautere Motive zu unterstellen, ist jedoch grundfalsch. Die Einladung der Stuttgarter Gruppe “Kultur des Friedens” hat ihm jedenfalls mehr Bauchschmerzen bereitet, als Sie es sich vielleicht vorstellen können. Er hat eine Reaktion wie sie jetzt eingetreten ist (Kommentar Süddeutsche Zeitung) befürchtet.

Lassen wir es mit Konstantins Lied “Sage Nein” vorerst bewenden

Wenn sie jetzt ganz unverhohlen wieder Nazi-Lieder johlen, über Juden Witze machen, über Menschenrechte lachen, wenn sie dann in lauten Tönen saufend ihrer Dummheit frönen, denn am Deutschen hinterm Tresen muß nun mal die Welt genesen, dann steh auf und misch dich ein: Sage nein!

Viele Grüße aus Bassum (bei Bremen) Reinhard Berlin

Von: Henryk M. Broder An: Reinhard Berlin

sehr geehrter herr berlin aus bassum bei bremen,

erlauben sie mir bitte, in demut und respekt, eine frage: haben sie noch alle tassen im schrank? zuerst schreiben sie einen leserbrief an spiegel-online, in dem sie “nazistische hetzparolen” ohne zahl zitieren, die als “email bei konstantin wecker oder in seinem gästebuch” gelandet sind, und die sich angeblich “alle auf den broder-artikel” beziehen. daraufhin mache ich mir die mühe, das wecker-forum und das wecker-gästebuch eintrag um eintrag durchzusehen, was mindestens ebenso strapaziös war wie der besuch eines wecker-konzerts mit anschließender diskussion. ich finde nichts und frage bei ihnen nach, wo sie denn fündig geworden sind, worauf sie sich dann als weckers schwiegervater und online-agent outen und genau 3 (drei!) beiträge anführen, die sie bzw. ihr “archivar” gelöscht haben wollen und die, wenn ich ihrem wort trauen darf, eher ekelig als nazistisch waren. dabei können sie es sich nicht verkneifen, in stolzer empörung eine weitere zuschrift zu zitieren, die sich auf ihre tochter bezieht, damit ein solcher dreck ja nicht unbeachtet bleibt. wer hat diese pöbelei aktiviert? wen machen sie dafür verantwortlich? das also ist ihre ganze broder-bedingte ausbeute an nazistischen hetzparolen - einer wollte ihrem schwiegersohn die eier abschneiden, zwei wünschten ihm eine busfahrt in begleitung palästinensischer selbstmörder, eine ausbeute, für die sie zudem die belege schuldig bleiben, denn die sind ja vorsorglich gelöscht worden. und jetzt fällt ihnen auch noch ein, daß es in weckers gästebuch schon “immer beleidigende einträge” gegeben hat. solche “auswüchse” sind ihnen “seit jahren” bekannt. wie seltsam. schon bevor ich über “konstantin” geschrieben habe? ich kann es mir vorstellen, daß ein leben an der seite von wecker zu schweren wahrnehmungsstörungen der wirklichkeit führen muß und daß passiv-koksen auch nach jahren unangenehme nachwehen provoziert, wie z.b. die unfähigkeit, zwischen ursache und wirkung unterscheiden zu können. aber das ist ihr problem, mit dem ich sie gerne allein lasse. ich habe ihrem schwiegersohn auch nicht unlautere motive, sondern politische dummheit von bassum bis bagdad unterstellt. er kann nichts dafür, daß die deutsche nationalzeiitung so schreibt, wie er stottert, er sollte nur wissen, wer seine weggefährten sind, wenn ihm schon die schwäbischen narren von der “kultur des friedens” so arge “bauchschmerzen” bereiten. da möchte ich dem künstler viel glück auf allen seinen wegen und für die heimreise von bagdad nach bassum hals- und beinbruch wünschen.

mit besten grüßen aus augsburg,

14.01.2003

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