Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

29.07.2003   13:03   +Feedback

»Der inszenierte Terrorismus«

D A S   L E T Z T E

Sehr geehrte, liebe Bärbel Schäfer,

oder dürfen wir schon Chava oder Tamar oder Zippora zu Ihnen sagen? Ihre große Kollegin Madonna möchte nur noch mit Esther angesprochen werden, seit sie einen Kabbala-Kurs besucht hat. Seitdem tritt sie nicht mehr an ungraden Tagen auf, und wenn die Quersumme aus Datum, Temperatur und Uhrzeit eine 9 ergibt, stellt sie sämtliche Aktivitäten ein und meditiert.

Schon sehr jüdisch:<br>Bärbel Schäfer

Schon sehr jüdisch: Bärbel Schäfer

Sie freilich sind noch nicht so weit, wie wir Ihrem großen Gespräch mit der BUNTEN entnehmen konnten. Auf die Frage, ob Sie es sich vorstellen könnten, »aus Liebe zu Michel Friedman zum Judentum zu konvertieren«, sagen Sie: »Jetzt bin ich gerade aus einer schwierigen Situation heraus und soll schon darüber nachdenken, ob ich konvertiere?«

Sie sagen also weder Ja noch Nein, Sie antworten auf eine Frage mit einer Gegenfrage, und das, liebe Bärbel, ist schon sehr jüdisch, wie der Witz von dem Ehepaar, wo der Mann seine Frau anschreit: »Musst du immer das letzte Wort haben?« und sie zurück mault: »Habe ich das wirklich?«

Doch die Jungs von der BUNTEN, die das Judentum für eine Tochterfirma von »American Express« halten, bei der man und frau nach Belieben Mitglied werden kann, haben ihre Antwort nicht verstanden. Deswegen legen sie nach: »Wie nah ist Ihnen das Judentum?« Worauf Sie antworten: »... Ich habe jüdische Freunde, aber auch Moslems und Angehörige anderer Religionen sind darunter. Die jüdische Kultur ist von einer großen menschlichen Wärme und Intensität geprägt ...«

Das, liebe Bärbel, hat uns wirklich beeindruckt, das war nicht nur eine politisch megakorrekte Antwort, mit der Sie sich für die Nachfolge von Johannes Rau bewerben könnten, es war der multikulturelle Deckel, der auf jeden Topf passt. Wir stellen uns vor, wie sie am späten Morgen mit einem jüdischen Freund Matzenbrei frühstücken, wie Sie dann am Mittag mit einer moslemischen Freundin Kopftücher einkaufen gehen, wie Sie am Nachmittag bei einer Hindu-Familie Yogi-Tee trinken und Tofu-Kekse knabbern und wie Sie schließlich den Tag beschließen, indem Sie sich daheim »Anatevka« vom Video angucken, die Bad Hersfelder Aufführung, mit Roberto Blanco als Tewje, dem Milchmann, um etwas von der großen menschlichen Wärme und Intensität zu erfahren, die der jüdischen Kultur eigen ist. Das alles finden wir schon sehr gut, aber es scheint uns, als wären Sie mit dem Wesen des Judentums noch immer nicht vertraut, als wüßten Sie nicht, was für eine mühsame Strecke vor Ihnen liegt. Dagegen ist ein Biathlon-Wettbewerb bei Regen und Sturm das reine Vergnügen. Es genügt nicht, dass Sie eine Portion gefillte Fisch von einem Glas Bratheringe unterscheiden können, dass Sie ein paar Blusen für den WIZO-Basar spenden und mit Salz vom Toten Meer baden.

Es geht um mehr: Keine Partys mehr am Freitagabend, kein Geschnetzeltes in Sahnesauce, kein Parmaschinken, keine Krabben, keine Garnelen, keine Muscheln, keine Austern und kein Hummer, dafür das ganze Jahr über Hühnersuppe mit Nudeln und zerkochtem Gemüse und nur an den Feiertagen Lachs auf Cream Cheese. Das Judentum mag viel menschliche Wärme bieten, kulinarisch ist es, vor allem für verwöhnte Gaumen, eine Folterkammer. Jetzt werden Sie sich fragen, wie es denn kommt, dass ihre »jüdischen Freunde« am Freitagabend ausgehen, Geschnetzeltes in Sahnesauce essen und ganz verrückt nach Parmaschinken und Meeresfrüchten sind. Für einen Lobster aus Maine würde jeder sogar den Gaza-Strip aufgeben!

Ganz einfach. Die sind schon Juden, sie wollen es nicht werden. Gesetzestreue verlangen wir nur von denjenigen, die unserem Zirkel beitreten wollen. Sonst könnten wir uns vor Anträgen nicht mehr retten! Wir sind eben kein Tochterunternehmen von »American Express«, eher schon von »Manischewitz« und »Ossem«.

Was immer Sie vorhaben, überlegen Sie es sich gut. Menschliche Wärme finden Sie überall, wo Menschen auf engem Raum zusammen sind: In der U-Bahn, im Kino, bei der Love Parade. Und eine große Portion Couscous ist ja auch was Schönes.

Mit Multikulti-Grüßen,Ihr Broder, Bloemendaal

29.07.2003

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