Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.07.2003   13:05   +Feedback

»Der inszenierte Terrorismus«

D A S   L E T Z T E

Verschwörungstheoretiker haben Konjunktur. Sie agieren nicht mehr am Rande der Gesellschaft sondern mittendrin.

Vor einigen Jahren besuchte ich in Kalifornien einen Mann namens Charles Johnson. Er lebte etwa eine Autostunde nördlich von Los Angeles, mitten in der Wüste in einem alten Wohnwagen ohne Räder und ohne Klimaanlage, umgeben von Abfall und Unordnung; einige Hunde, die ziemlich verwahrlost wirkten, liefen an langen Ketten über das Grundstück. Johnson war der »President« der »Flat Earth Society«, einer im 17. oder 18. Jahrhundert in England gegründeten Gesellschaft, deren Mitglieder überzeugt waren, dass die Erde keine Kugel sondern

Die Erde ist eine Scheibe, und das WTChaben die Amis selbst hochgejagt!

eine flache Scheibe ist. Wie ausgerechnet Charles Johnson der President der Flat Earth Society werden konnte, weiß ich nicht nicht mehr, es war eine lange und umständliche Geschichte. Ich erinnere mich nur noch, dass er in seinem Wohnwagen, in dem es nicht einmal fließendes Wasser gab, eine Sammlung von Dokumenten bereit hielt, die seine Scheiben-Theorie belegen sollten: Bücher von Astronomen, Berechnungen von Experten, sogar Fotos, die die NASA im Weltraum gemacht hatte. »Die Sache mit der Kugel ist die größte und gemeinste Verschwörung in der Geschichte der Menschheit«, versicherte mir Johnson, und bei dieser Verschwörung würden alle zusammen arbeiten, die Amerikaner, die Russen, die Japaner, die Deutschen, die Medien und die Wissenschaftler, einfach alle.

Unsere Unterhaltung wurde immer wieder vom Lärm der Düsenjäger unterbrochen, die im Tiefflug über den Wohnwagen donnerten. Sie kamen von der Edwards Air Base (oder wollten dort landen), die nur ein paar Meilen entfernt von Johnsons Wüstenresidenz lag. Es war eine leicht bizarre Situation: Während Charles Johnson mir erklärte, warum die Erde eine Scheibe sein muss, wurde gleich um die Ecke die nächste Weltraummission der Amerikaner vorbereitet. Aber Johnson machte seine Sache so gut, dass er mich bald überzeugt hatte. Ich unterzeichnete einen Aufnahmeantrag, zahlte 2o,- Dollar Gebühr und wurde Mitglied der »Flat Earth Society«. Ein paar Tage später, beim Rückflug nach Frankfurt, kamen mir dann doch Zweifel, die Sicht war klar, man konnte mit bloßen Auge die Krümmung der Erde erkennen. Sollte Johnson mich reingelegt haben? War die Erde doch eine Kugel?

Ich vergaß die ganze Geschichte, bis ich vor kurzem in »kulturzeit« auf 3sat, dem letzten bolschewistischen Biotop im öffentlich-rechtlichen Fernsehen, einen Beitrag über die »Mondlandung« der Amerikaner sah. Das heißt, es war ein Beitrag, wie die Amerikaner die Mondlandung gefakt hatten, sie hatte nie wirklich stattgefunden, die ganze Expedition wurde irgendwo in der Wüste inszeniert und gefilmt. Da fiel mir Charles Johnson, der President der Flat Earth Society, wieder ein, der mir beim Abschied einen Satz sagte, dessen Bedeutung mir nicht gleich klar wurde. »Auch die Mondlandung hat’s nie gegeben. Ich kann es beweisen.« Ich hätte damals nachfragen sollen, aber nun war es zu spät, denn Charles Johnson weilt nicht mehr unter den Lebenden. Er schaut aus weiter Ferne auf die Erde und weiß nun mit letzter Gewissheit, ob sie eine Kugel oder eine Scheibe ist. Wir aber müssen mit dieser Frage leben, ohne sie beantworten zu können. Das ist schon deswegen bitter, weil täglich neue Fragen dazu kommen, die keiner beantworten kann. Wo hält sich Ossama Bin Laden versteckt? Hat Saddam Hussein den Krieg überlebt? Wann wird Joschka Fischer der erste europäische Außenminister? Ist Daniel Küblböck eine Tunte, oder tut er nur so?

Die Frage aller Fragen aber lautet: Was ist am 11. September wirklich passiert? Denn dass es islamische Fundis waren, die das WTC zu Fall brachten, das glauben in Deutschland nur noch diejenigen, die auch davon überzeugt sind, dass es mit der Wirtschaft bald wieder bergauf gehen wird. Dutzende von Experten beschäftigen sich mit den »Widersprüchen« des 11. September, schreiben beieinander ab, zitieren sich gegenseitig und finden immerzu neue sensationelle Fakten, die sie der Öffentlichkeit unterbreiten. Andreas Förster z.B., dem wir schon manche lustige Schnurre über die Stasi verdanken, schrieb am 3o.6. auf Seite 1 der »Berliner Zeitung«: »Am 11. September wurden fünf Mossad-Agenten festgenommen, als sie vom Dach eines benachbarten Hochhauses die Attacken auf das World Trade Center filmten.« Das war wirklich sensationell, denn es implizierte, die »Mossad-Agenten« müssen im voraus gewusst haben, wann und wo die Flugzeuge einschlagen würden. Ich fragte bei Andreas Förster nach, woher er seine Exklusivinformation habe, und er antwortete umgehend, der Forward habe am 15. März 2oo2 »sehr ausführlich darüber berichtet« und auch ABC News habe am 21. Juni 2oo2 »die mysteriöse Geschichte erzählt«.

Es ist nicht einfach, eine News-Geschichte, die im Fernsehen gesendet wurde, wieder auszugraben, dafür lag der Forward-Bericht im Nu auf meinem Tisch. Es war wirklich eine »mysteriöse Geschichte«, da hatte Förster Recht, aber sonst stimmte kaum etwas an seiner saloppen Wiedergabe. Laut Forward wurden tatsächlich fünf Israelis festgenommen, allerdings nicht »als sie vom Dach eines benachbarten Hochhauses die Attacken auf das World Trade Center filmten«, sondern »shortly after the September 11 attacks« und nicht vor Ort in Manhattan, sondern auf der anderen Seite des Hudson, in New Jersey. Und sie standen nicht auf dem Dach eines benachbarten Hochhauses, sondern auf dem Dach eines Lastwagens, der einer »moving company«, einer Transportfirma, gehörte. Förster muss die »moving company« als »movie company« missverstanden haben, worauf er die Israelis zu geheimnisumwitterten Filmern erklärte. Als Grund für die Festnahme der mysteriösen Fünf gab der Forward »their strange behavior and their Middle Eastern looks« an, also seltsames Verhalten und Aussehen; sie wurden verhört, ein paar Wochen festgehalten und dann nach Israel abgeschoben. So etwas ist in den USA »shortly after the attacks« öfter passiert, die Behörden gingen nicht immer sehr feinfühlig mit Verdächtigen um; der Forward mochte sogar die Möglichkeit nicht ausschließen, dass die Fünf tatsächlich für ein Tarnunternehmen des Mossad arbeiteten, obwohl es dafür keine eindeutigen Belege gab. Nur ging das, worauf es Förster ankam, mit keinem Wort und keiner Andeutung aus dem Bericht hervor: Dass der Mossad, aufgrund seiner Kenntnisse, seine Agenten genau dort postieren konnte, wo es dann krachen würde. Die »Berliner Zeitung« gilt als eine seriöse Quelle, bald werden sich andere »Experten« auf Förster beziehen, so kommt eine »Enthüllung« in den Kreislauf der Information und bleibt da bis an das Ende der Tage, wie die Protokolle der Weisen von Zion, die noch niemand gelesen hat, aber jeder kennt und zitiert.

Dabei wollte Förster nur auf eine Veranstaltung in der Humboldt-Universität aufmerksam machen, die am selben Tag stattfand: »Der inszenierte Terrorismus«. Da würden, so Förster, »acht prominente Journalisten und Politiker ihre Version der Ereignisse vom 11. September präsentieren«. Auch diese Information stimmte nur bedingt. Es waren nicht acht, sondern nur sieben Referenten, und es handelte sich mitnichten um »prominente Journalisten und Politiker«, sondern um pensionierte Bruchpiloten und Hobbyisten, wie den ehemaligen Hannover-Korrespondenten der FR Eckart Spoo und den ehemaligen Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Andreas von Bülow, der seit seiner Verrentung als »Geheimdienstexperte« in Talkshows auftritt. Es waren aber auch Betriebsnudeln dabei wie der Hanf-Experte Mathias Bröckers, der mit seinem Kolportage über den »11.9.« so viel Geld verdient hat, dass er inzwischen in die Schweiz umziehen müsste, und der Münchener Autor Gerhard Wisnewski, Jahrgang 1959, der vor über zehn Jahren mit einem Buch über das »RAF-Phantom« bekannt wurde und seitdem als »Enthüller« auftritt. Sie - und drei weitere ebenso prominente Journalisten und Politiker - präsentierten im überfüllten Audimax der Humboldt Universität ihre Versionen der Ereignisse vom 11. September, sehr zum Gefallen des Publikums, das sich etwa zu gleichen Teilen aus frustrierten Friedensfreunden, bleichen SED-Rentnern und aufgekratzen Neonazis rekrutierte.

Es gab ein harmonisches Einvernehmen zwischen den Referenten und den Zuhörern, wie man es sonst nur bei den Auftritten von Erich von Däniken erlebt. Die Leute lachten und klatschen an den richtigen Stellen und freuten sich, dass ihnen genau gesagt wurde, was sie hören wollten: Die Flugzeuge, die im WTC aufschlugen, seien ferngesteuerte leere Drohnen gewesen, die im Anflug gegen die Passagiermaschinen ausgetauscht worden seien, ins Pentagon sei überhaupt keine Maschine abgestürzt und die Türme des WTC seien zwar kollabiert, aber nicht als Folge der Flugzeugeinschläge. Die Schlussfolgerung war klar: Die Amerikaner hatten die Anschläge »inszeniert«, weil sie für ihre Propaganda einen Grund brauchten, um erst Afghanistan und dann den Irak überfallen zu können. »Die Planungen für eine Militärintervention in Afghanistan waren bereits am 9.9.2oo1 abgeschlossen - zwei Tage vor der angeblichen Begründung.«

Draußen, vor dem Audimax der HU standen keine Krankenwagen bereit, um die Teilnehmer des Panels mit ihren Betreuern zurück in die Anstalten zu bringen, aus denen sie vorübergehend entlassen worden waren, dafür saß drinnen, mitten in der zufrieden grunzenden Masse, Horst Mahler und freute sich, dass seine Ansichten inzwischen im Mainstream des politischen Diskurses angekommen waren. Hier wurde offen ausgesprochen, was er bis eben nur in versifften Hinterzimmern bei NPD-Versammlungen sagen konnte. Und nur zehn Tage vorher war im WDR die Dokumentation »Aktenzeichen 11.9. ungelöst« gezeigt worden, in der Gerhard Wisnewski zusammen mit einem Co-Autor seine Ansichten über den 11.9. aufbereitet hatte - die gleichen, die er im Audimax der Humboldt-Uni präsentierte. Für Wisnewski muss es ein innerer Reichsparteitag der Extraklasse gewesen sein. Er entlarvte die Amis, schrieb die Geschichte neu und trat in der Humboldt-Universität vor einem Publikum auf, das sich ihm bereitwillig hingab. Ein kleines Würstchen, das schon lange eine dicke Salami werden wollte, schwebte über den Wolken der Wirklichkeit. Da muss es ihm echt wehgetan haben, dass er ausgerechnet in der links-anarchischen Wochenzeitung Jungle World niedergeschrieben wurde. Sein Film sei »hanebüchen«, voll »wilder Spekulationen«, wie schon sein Buch über das »RAF-Phantom«, er selber »ein offener Antisemit«. Als Beleg bot die Jungle World Zitate aus Wisnewskis Homepage an. Da hieß es unter anderem, die »angeblichen Attentate der Palästinenser« nützten nur den Israelis, weil sie die Bevölkerung in die Arme Scharons trieben.

Wie die Anschläge am 11.9. seien auch die »angeblichen Attentate« vermutlich ferngesteuert: »Heuert irgendjemand einen ahnungslosen Palästinenser an, damit er für zehn Schekel, oder wie diese Währung auch immer heißt, eine Plastiktüte oder ein Paket transportiert, wobei dieser jemand dann im geeigneten Moment auf den Knopf seiner Fernsteuerung drückt?«

Wer so was fertig bringt, dem sind auch größere Schurkereien zuzutrauen: »Steckte Scharon hinter den Anschlägen vom 11. September 2oo1? Hat er die arabische Welt in Misskredit gebracht und die Aggression der Supermacht USA auf sie gelenkt?« Scharon möchte »die arabische Welt vernichten, und die Leiche Arafats als Sahnehäubchen obendrauf haben«, die arabische Welt stehe vor einem »Genozid«, vor einem »nie da gewesenen Völkermord« orakelte Wisnewski auf seiner Homepage.

Auf den Verriss in der Jungle World reagierte er umgehend. Dies sei die Arbeit mieser Neider, die ihm den Erfolg nicht gönnen würden. Es handle sich um eine »Verleumdungskampagne« und einen »Hetzartikel gegen Wisnewski« mit dem Ziel, ein »Berufsverbot« gegen ihn durchzusetzen. Die Behauptung, er sei »ein offener Antisemit« sei »beleidigend, ehrenrührig und auch geschäftsschädigend«. Ihm Antisemitismus vorzuwerfen, »macht schon deswegen keinen Sinn, weil seine Frau aus einer jüdischen Familie stammt« Und: »Auf seiner Website äußert sich Wisnewski lediglich regierungskritisch, und zwar im Hinblick auf die deutsche Regierung ebenso wie die amerikanische, israelische oder andere Regierungen ... Gerhard Wisnewski fühlt sich sehr vielen Amerikanern und Juden verbunden, insbesondere der israelischen Opposition, die die Regierung Scharon massiv kritisiert.«

Die in der Jungle World wiedergegebenen Zitate von ihm über die angeblichen Attentate, die ferngesteuerten und ahnungslosen Palästinenser und Scharons Pläne für einen Genozid an der arabischen Welt erklärt er für »falsch«. Richtig dagegen ist: »Diese Behauptung wird von mir nicht aufgestellt«, denn sie wurde, wie auch die anderen, »schon vor längerer Zeit aus redaktionellen Gründen von meiner Website gelöscht«. Als gäbe es eine Verfallsfrist, nach deren Ablauf ein Zitat seine Gültigkeit verliert. Wisnewski ist nicht nur, wie die Jungle World festgestellt hat, ein »offener Antisemit«, der es gerne mit einer Jüdin treibt, er ist auch ein authentischer Dummkopf, der in der dritten Person über sich selbst schreibt und nicht merkt, was er sagt. Als ultimativen Beweis dafür, dass Wisnewski kein Antisemit sein kann, zitiert Wisnewski einige Sätze von Wisnewski, die ihn freilich in flagranti überführen: »Die Verbrechen an den Juden haben ein Recht auf einen angemessenen Platz in der Geschichte. Sie haben ein Recht darauf, dass man an sie denkt und sich ihrer als Warnung erinnert - auch als Warnung vor Verbrechen der Juden. Denn sonst wäre das Opfer Millionen jüdischer Menschen völlig umsonst gewesen.«

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»Schmock der Woche« für Mathias Bröckers

Web-Links zum Thema

Homepage von Gerhard Wisnewski

Ivo Bozic über Wisnewskis anitsemitische Texte

Berliner Zeitung über Wisnewskis 11.-September-Film

Flat Earth Society

Jungle World

Kann man so dumm sein und so etwas hinschreiben, in der sicheren Überzeugung, damit vom Vorwurf des Antisemitismus loszukommen? Wisnewski kann’s. Dafür hat man also die letzten 5o Jahre die Schüler mit Anne Frank und Peter Weiss gequält, sie nach Auschwitz geschickt und Aufsätze »Gegen das Vergessen!« schreiben lassen. Damit die Verbrechen an den Juden als Warnung vor den Verbrechen der Juden in die Geschichte eingehen. So bekommt die Erinnerungsarbeit einen neuen Sinn und die Opfer Millionen jüdischer Menschen, die bis jetzt nicht wussten, wofür sie sterben mussten, wären nicht völlig umsonst gewesen. Wenn Wisnewski irgendwo in einem Wohnwagen hinter Köln-Wahn leben und nur ab und zu in die Stadt kommen würde, um Brennholz, Bier, Buletten und ein paar Karatevideos einzukaufen, wäre alles in Ordnung. Aber er läuft überall frei herum, hält Reden und produziert »Dokumentationen« für den WDR. Vielleicht wird man ihn zum nächsten Holocaust-Gedenktag wieder eine machen lassen, diesmal über die Verbrechen der Juden. Kölle Alaaf!

HMB, 1o.7.2oo3

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