Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

24.09.2003   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Peter Eisenman, Herr der Stelen

Wann immer er nach Berlin kommt, um den Fortgang der Arbeiten am Holocaust-Mahnmal zu überprüfen, sammelt sich eine Bewunderermeute zu seinen Füßen, lauscht seinen Worten und gerät in Ekstase, wie eine Groupie-Gang nach einem Auftritt von Daniel Küblböck. Peter Eisenman, Architekt aus New York, stellt sich in einen Zusammenhang mit Odysseus, Caspar David Friedrich und Goethe und behauptet nicht weniger, als dass sein Mahnmal dafür sorgen werde, dass eine Diskussion über den Holocaust in die Gänge kommt.


Sorgt für eine Diskussion um denHolocaust: Peter Eisenmann

Denn bis jetzt ist über den Holocaust in Deutschland nicht geredet worden, und es musste erst Peter Eisenman, ein Vertreter des Post-Strukturalismus, 2751 Betonstelen bei einer Joachimsthaler Betongießerei in Auftrag geben, damit die Erinnnerung an die Verbrechen der Nazis wieder angestoßen werde.

Das Mahnmal, das rund 27 Millionen Euro kosten soll, setzt neue Maßstäbe für Größenwahn, Kitsch und Idiotie. Und Eisenman, der nach einigen Wettbewerben und vielen Querelen übrig blieb, ist der richtige Mann, um es zu realisieren. Sein IQ entspricht dem der Betonstelen, wenn er redet, hört er sich an wie ein Mähdrescher, der ein Buch von Kurt Schwitters verschluckt hat. Und keiner lacht, denn es geht um den Holocaust, viele tote Juden und bußfertige deutsche Sünder.

Bei seinem letzten Besuch in Berlin, im heißen August, gab er der WELT ein Interview, in dem er die Größe des Mahnmals ins Verhältnis zur Sinnlosigkeit des Massenmordes setzte: »Ich habe es genau wegen der Größe gemacht. Wenn es kleiner gewesen wäre, hätte es mich nicht interessiert. Die Variation der Stelenformen beansprucht diese Fläche. In der modernen Architektur haben Denkmäler weniger die Aufgabe, eine einzige Botschaft zu verkünden. Die Sinnlosigkeit und Trostlosigkeit der Massenvernichtung kann nicht in einer klassischen Bauform ausgedrückt werden. Das Denkmal muss die Sinnlosigkeit ausdrücken. Ein Teil des Denkmals ist seine Provokation. Damit habe ich viel erreicht…«

Ja, eine Handvoll Stelen weniger, und der ganze Sinn der Sinnlosigkeit wäre dahin. Entgegen anderen Erfahrungen kommt es doch auf die schiere Größe an. Nur in einem Punkt irrt sich der Herr der Stelen: Sein Mahnmal ist so provokativ wie ein Auftritt von Dolly Buster beim Oktoberfest. Niemand nimmt daran Anstoß, außer einem Behindertenverband, der vor dem Berliner Verwaltungsgericht gegen den Bau des Mahnmals klagte, weil es nicht »behindertengerecht« wäre, sollte heißen: Zwischen den Stelen ist nicht genug Platz, damit Rollstuhlfahrer frei herum tollen können. Das Gericht wies die Klage ab, und damit war die letzte Kontroverse um das Mahnmal beendet. Nur Eisenman besteht noch darauf, dass sein Projekt eine Zumutung wäre, die verarbeitet werden muss. »Die auf geometrische Abwandlungen reduzierte Formensprache meiner Architektur bietet keine Lösungen, die einfach emotional zu erfassen sind.«

Wer so einen Stuss redet, der kann auch Sein von Schein nicht unterscheiden. Und der bringt sogar Martin Walser mit ins Spiel, der in die Geschichte als der Mann eingehen wird, der den ersten antisemitischen Roman des 21. Jahrhunderts verfasst hat. Walser, sagt Eisenman, habe »viel für das Mahnmal getan« und »genau das Gegenteil von dem (bewirkt), was er wollte«. Denn der Bau des Mahnmals »war lange unsicher«, dann hat Walser die bekannte Friedenspreisrede in der Frankfurter Paulskirche gehalten und damit »in entscheidender Weise zu seiner Realisierung« beigetragen. Unter Marxisten nennt man so etwas »Dialektik«, unter Militärstrategen »Kollateralschäden«, unter Wüstenwanderern »Fata morgana«.

Und so verspürt Eisenman das dringende Bedürfnis, Martin Walser die Hand zu drücken. »Ich müsste ihn unbedingt einmal treffen. Es wäre womöglich sehr produktiv.« Eine Superidee. Eisenman und Walser wandeln zusammen am Ufer des Bodensees und spielen deutsch-jüdische Symbiose. Beide sind etwa gleich alt, gleich gaga und gleich selbstverliebt. Walser trägt wie immer seinen Schlapphut, Eisenman seine breiten Hosenträger. »Du musst unbedingt mein letztes Buch lesen«, sagt Walser. »Du musst unbedingt zur Einweihung meines Mahnmals kommen«, sagt Eisenman, »ich halte dir einen Platz neben mir frei.« - »Du bist echt in Ordnung«, sagt Walser, »nur dass du es schon zum Schmock des Monats gebracht hast und ich noch nicht, das nehm ich dir übel.«.

HMB, 24.9.2oo3

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