Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

26.12.2003   12:06   +Feedback

Der böse Wolf und seine Brüder

D A S   L E T Z T E

Seit den Tagen von Josef Süß Oppenheimer (1698 bis 1738) hat kein Jude im öffentlichen Dienst die Phantasien der Menschen so beschäftigt wie Paul Wolfowitz, stellvertretender Verteidigungsminister der USA.

Recycletes Klopapier?

Leute, die nicht wissen, wie der französische Außenminister heißt oder wie man den Namen der deutschen Justizministerin buchstabiert, gerieren sich als Wolfowitz-Experten und intime Kenner der neokonservativen Szene in den USA. Man muss auf einer Party nur »Wolfowitz« raunen, damit der letzte halb besoffene Penner schlagartig nüchtern wird und einem genau erklärt, wer Wolfowitz ist und welche Ziele er anstrebt. Ein besonders schönes Beispiel für diese Art von Sachwissen lieferte vor kurzem die Berliner Zeitung, früher ein Organ der SED, heute eine in Ost-Berlin und Umgebung beliebte Heimatzeitung. Da hieß es in einem Wolfowitz-Porträt auf Seite 1:

»Wolfowitz-Gegner gehen sogar soweit, den gesamten Irak-Krieg als eine seit langen Jahren vorbereitete Verschwörung des Neokonservativen und seiner Glaubensbrüder zu sehen. Für sie ist Wolfowitz der Inbegriff des teuflisch-dunklen Kriegstreibers, der die Gunst der Stunde nutzen wollte, um die Position Israels in der Region zu sichern. Seine Freunde bestreiten diese herausragende Machtstellung und sehen in den jüdischen Verschwörungstheorien Antisemitismus.«

Nun hat sogar die PDS inzwischen einen »Israel-Sonderbotschafter« (Gregor Gysi), aber die Berliner Zeitung hat noch immer niemand, der einer schwadronierenden Polit-Praktikantin den richtigen Gebrauch des Worten »gesamt« und den Unterschied zwischen antisemitischem Unsinn und »jüdischen Verschwörungstheorien« erklären könnte. Davon abgesehen war das kleine Stück auf Seite 1 ein Musterbeispiel dafür, wie man Ressentiment los wird, ohne sie sich zueigen zu machen. Die einen sagen so, die anderen so. Der Leser wird sich schon eine Meinung bilden. Falls er nicht schon weiß, dass es die Glaubensbrüder von Wolfowitz waren, jene teuflisch-dunklen Kriegstreiber, welche die USA in den Krieg gegen Deutschland getrieben haben, damals, so wie sie heute die USA in den Krieg gegen den Irak treiben.

Jetzt muss sich der Leser nur noch eine Meinung über die Berliner Zeitung bilden. Gegner des Blattes sagen, es werde aus recyceltem Klopapier hergestellt, was manche braunen Spuren erklären könnte, seine Freunde dagegen meinen, es sei noch immer das alte Sudelblatt mit einem neuen Layout. Und während auf Seite 1 Wolfowitz und seine Glaubensbrüder vorgestellt werden, wird auf Seite 6 derselben Ausgabe über eine Studie der Uni Bielefeld (»Deutsche Zustände«) berichtet, in der die »Opfer deutscher Vorurteile« aufgezählt werden: »Fremde, Behinderte, Juden, Obdachlose, Homosexuelle«.

Zumindest der Teil der »gesamten« Studie, der von Vorurteilen gegen Juden handelt, wurde wohl in der Redaktion der Berliner Zeitung erhoben.

HMB, Bln, 26.12.03

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