Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.04.2004   13:03   +Feedback

Der Schmock der Woche: Der Pressesprecher von amnesty international

...geht an den Berliner Pressesprecher von amnesty international für seine wegweisenden Überlegungen zur gefühlten Bedrohung

Die dunkle Bedrohung: Pommes Frites
Die dunkle Bedrohung:
Pommes Frites

Immer, wenn ich am frühen Nachmittag im Café Einstein sitze, frage ich mich: Was machen all diese Menschen an einem frühen Nachmittag im Café? Haben sie nix zu tun, müssen sie nicht arbeiten, wovon leben sie?

Inzwischen weiß ich es, es sind zum großen Teil Mitarbeiter von NGOs, deren Büros zu klein sind und die deswegen ihre Aktivitäten an einen öffentlichen Ort verlegt haben: Leute von »Attac« und »Greenpeace«, von »Robin Wood« und »Peta«, von »Karaoke für Kinder« und »Offene Grenzen für alle«. Sie kommunizieren hauptamtlich, am liebsten über Perspektiven der Zivilgesellschaft oder Risiken der Verortung. Neulich saß ein gut aussehender junger Mann neben mir und schrieb. Es sah aus, als würde er die Gästeliste der nächsten »Cinema for Peace«-Gala zusammenstellen, weil er ständig in einem kleinen Notizbuch nachschaute. Aber das war es nicht. »Ich schreibe einen Artikel für die taz«, sagte er, nachdem ich ihn gefragt hatte, was er so bei Café Latte und Apfelstrudel treiben würde, »ich bin der Pressesprecher von amnesty international«. - »Und worüber schreiben Sie?« - »Über exzessive Polizeigewalt«, sagte der Mann, »und wie sie die Menschenrechte gefährdet«.

Gutes Thema, dachte ich, wieso bin ich nicht selber darauf gekommen. Denn eben hatte ich im Tagesspiegel gelesen, wie sich die Berliner Polizei auf den kommenden 1. Mai vorbereitet, das wichtigste Berliner Straßenfest zwischen dem Karneval der Kulturen und der Love Parade.

Schon letztes Jahr hatte die Polizei sehr erfolgreich eine De-Eskalations-Strategie angewandt. Während sogenannte »Konfliktberater« den Dialog mit den hyperventilierenden Autonomen suchten, wurden nebenan Autos angezündet und Supermärkte geplündert. Überhaupt ist die Berliner Polizei eher für ihre Neigung zur De-Eskalation als zur exzessiven Gewaltanwendung bekannt. Es kommt vor, dass Polizisten, die gerufen werden, um bei einer Kneipenschlägerei einzugreifen, vor dem Lokal abwarten, bis sich drinnen alles beruhigt hat und erst danach die Personalien der Beteiligten aufnehmen.

Aber ich bin ja bereit zu lernen, und deswegen las ich die taz an den folgenden Tagen besonders aufmerksam. Und tatsächlich, am 3. April erschien auf der Seite »meinung und diskussion« ein Artikel des Pressesprechers von amnesty international über »Die gefühlte Bedrohung«. Er beschrieb ein »Strukturproblem ..., das in skandalöser Weise politisch ignoriert wird«, eben die exzessive Polizeigewalt, »das wohl schwerwiegendste Menschenrechtsproblem in Deutschland«.

Ich überlegte einen Moment, ob es nicht das »schwerstwiegende Problem« heißen müsste, weil man ja »schwer«, aber nicht »wiegen« steigern kann, doch angesichts der Bedeutung des Themas wollte ich mich mit solchen Petitessen nicht aufhalten. Ich rechnete mit anschaulichen Beispielen für exzessive Polizeigewalt - wie Polizisten Bürger zusammen schlagen, die nach Mitternacht ihre Hunde Gassi führen, gegen die Fahrtrichtung parken oder im Halteverbot knutschen. Doch der Pressesprecher von amnesty international brachte kein einziges Beispiel für derartige Gewaltexzesse, statt dessen wandte er sich einem ganz anderen Thema zu, für das eigentlich Jörg Kachelmann zuständig wäre: »Nach den Anschlägen von Madrid fegt durch Europa der kalte Wind einer sehr einseitigen sicherheitspolitischen Diskussion.«

Was mich angeht, fand ich den kalten Wind nicht so unangenehm, wie den Geruch verkohlter Leichen, der sich nach den Anschlägen von Madrid verbreitet hatte, vor allem nachdem die Al-Kaida in einem Strategie-Papier versprochen hatte, »innerstädtische Ziele« anzugreifen, »als eine Art militärische Diplomatie«, die »mit Blut geschrieben« wird, »geschmückt mit Körperteilen und dem Geruch von Waffen«.

Das aber sah der Mann von amnesty international ganz anders. Die von Al-Kaida versprochene Ausweitung der Kampfzone bereitete ihm kein Unbehagen. Im Gegenteil. »Angesichts der angeblich existenziellen Bedrohung wird unverhältnismäßige Polizeigewalt zum Kollateralschaden.«

Angeblich existenzielle Bedrohung? Hatten die Terroristen in N.Y. zwei Kartenhäuser zum Einsturz, in Madrid eine Märklin-Modelleisenbahn zum Entgleisen und in Istanbul einen Luftballon zur Explosion gebracht? Waren nach diesen angeblichen Anschlägen die angeblichen Toten aufgestanden, hatten sich den Staub von den Kleidern geschüttelt und sich auf den Weg nach Hause gemacht? Ganz so war es wohl nicht, aber in jedem Falle hatte die Berichterstattung über die angeblich existenzielle Bedrohung zu einem völlig falschen Bild geführt. Das rückte der Pressesprecher von amnesty international mit dieser Überlegung wieder zurecht: »Das Risiko, Opfer des Terrorismus zu werden, ist dagegen weit niedriger als die Risiken, die zu fettes Essen, die Teilnahme am Straßenverkehr oder der Frühjahrsputz in sich bergen.«

Man muss es wirklich bis an die Spitze von amnesty international geschafft haben, um einen solchen Satz hinzuschmieren, ohne auf der Stelle einen Schlaganfall zu erleiden. Worüber haben wir uns bei der RAF aufgeregt? Bei allen ihren Anschlägen sind nicht einmal zwei Dutzend Deutsche getötet worden, viel weniger als in einer Woche in Bayern bei Verkehrsunfällen ums Leben kommen. Was ist schon eine Rucksackbombe in einer ICE-Gepäckablage verglichen mit einer Tüte Pommes mit Mayo? Und wieso reden wir noch immer über den Untergang der Titanic vor über 9o Jahren? Fünfzehnhundert Tote sind doch ein Klacks, ebenso wie die zehn Tausend Chinesen, die jedes Jahr in der Volksrepublik hingerichtet werden, denn bei einer Bevölkerung von weit mehr als einer Milliarde Menschen ist das Risiko, exekutiert zu werden, viel geringer als die Risiken, morgens auf dem Weg zur Arbeit von einem Bus überfahren zu werden oder mittags an einer Fischgräte zu ersticken. Statt gegen die Todesstrafe zu protestieren, sollte sich amnesty international an die eigenen Risiko-Berechnungen halten. Was den Berliner Pressesprecher des Vereins angeht, der sich zuletzt so heftig für Saddam Hussein eingesetzt hat, gilt dieselbe Input-Output-Analyse: Das Risiko, sich den Schmock beim Trockenwichsen zu brechen, ist weit höher, als einen verliehen zu bekommen. Ein Grund mehr, den Erfinder der »gefühlten Bedrohung« mit dem Schmock der Woche zu belohnen.

HMB, 1o.4.2oo4

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