Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

10.04.2004   13:03   +Feedback

Deutsche, esst deutsche Bananen!

Das Letzte

Ein Bundestagspräsident hats nicht leicht. Er muss dafür sorgen, dass sich die Abgeordneten an das Protokoll halten, dass keiner in kurzen Hosen und Bahamas-Hemd zur Sitzung kommt und dass die Stimmen korrekt ausgezählt werden.

Engagiert für deutsche Produkte: Wolfgang Thierse
Engagiert für deutsche Produkte:
Wolfgang Thierse

Und wenn eine Partei Spenden illegal kassiert oder irgendwelche Einnahmen nicht angegeben hat, dann verhängt er Geldstrafen ohne Ansehen der Partei und Person. Das hat Wolfgang Thierse schon öfter getan und sich damit nicht nur Freunde gemacht. Er ist, wie es sich für den zweiten Mann im Staat gehört, eine moralische Instanz. Wenn es um Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus geht, sagt er das Richtige zum richtigen Zeitpunkt. Aber das ist ihm nicht genug. Deswegen entwickelt er sich zu einem Quotenfachmann. Thierse hat sich dafür stark gemacht, dass die Firma Degussa, die schon einen Anteil am Holocaust hatte, auch am Holocaust-Mahnmal mitbauen darf. Das ist nicht nur fair, sondern auch praktisch, weil jeder Bauherr gerne mit Sub-Unternehmern arbeitet, die ihre Zuverlässigkeit schon bewiesen haben.

Thierse ist nicht nur, neben seiner Tätigkeit als Bundestagspräsident, Bauherr des ambitioniertesten, hässlichsten und überflüssigsten Mahnmals der Berliner Republik, er hat noch ein anderes Steckenpferd, das er von Zeit zu Zeit sattelt: deutsche Musik im deutschen Rundfunk. Ende März hat er sich wieder dafür ausgesprochen, eine »Quote für deutschsprachige Musik« im Radio und Fernsehen einzuführen. Wenn die Sender nicht freiwillig mehr deutsche Musik spielten, müsse man darüber diskutieren, ob sie mit einer Quote dazu gezwungen werden könnten. Künstler aus Deutschland und Europa müssten größere Chancen bekommen, »gegen die Allmacht des amerikanischen Kulturimperialismus« bestehen zu können, sagte er dem Sender »Deutsche Welle«.

Ja, der amerikanische Kulturimperialismus, Hollywood und Haarspray, Kevin Costner und Coca Cola, Mel Gibson und McDonald’s, Baseball und Bowling. Da kann einem Kegelbruder schon mal die Hand vor Empörung ausrutschen, wenn er nur daran denkt, wie wir kolonialisiert werden. Thierses Forderung nach einer Quote für deutsche Musik erinnert an die Absicht der SPD, eine »Ausbildungsplatzabgabe« einzuführen. Wenn Unternehmen nicht »freiwillig« ausbilden, sollen sie zahlen. Das wird keinen Ausbildungsplatz mehr schaffen, aber ein paar klamme Kommunen vollends in den Ruin treiben. Macht nix, das Prinzip muss durchgesetzt werden.

Thierse stellt sich schlauer an. Er weiß, es gibt schon einen »Beauftragten für Pop-Musik« der SPD, den dicken Gabriel aus Hannover, der lieber »Beauftragter für Menschenrechte« der Bundesregierung geworden wäre, wenn nicht schon Claudia Roth diesen reiseintensiven Posten verwalten würde. Thierse sagt nicht, wie er sich die »freiwillige« Quoten-Regelung vorstellt. Wird es eine »Bundesrundfunkkammer« geben, die die Programme aller Sender überwachen wird? Wie wird man »deutsche Musik« definieren? Reicht ein Ariernachweis des Komponisten über drei Generationen? Kann sich »We have a dream« von Dieter Bohlen mit den Superstars von RTL als deutsche Musik qualifizieren? Und unter welche Kategorie fällt »Muss i denn, muss i denn…«, wenn es von Elvis Presley gesungen wird? Deutsches Liedgut oder US-Kulturimperialismus?

Da hat sich Thierse auf eine »mission impossible« eingelassen, oder wie man besser sagen sollte, einen Rohrkrepierer produziert. »Deutsche Musik« zu definieren, dürfte so einfach sein, wie koschere Kasseler Rippchen zu servieren. Und wenn schon vom Essen die Rede ist: Muss nicht auch die deutsche Küche gegen die Übermacht der artfremden Angebote verteidigt werden? Müssten Restaurants nicht verpflichtet werden, mehr deutsche Gerichte anzubieten, so wie die Sender verpflichtet werden sollen, mehr deutsche Musik zu spielen? Immerhin, wenn die ARD einen Volksmusikabend mit Norbert Blüm und Günter Jämmerlich als Moderatoren sendet, zeigt das ZDF zur selben Zeit einen Volksmusikabend mit Carmen Nebel. Das ist deutsche Vielfalt, da kann der Zuschauer frei entscheiden, statt vom US-Kulturimperialismus bevormundet zu werden. Wo aber gibt es ein Lokal, das dem Gast kein Carpaccio und keine Bistecca Milanese zumutet, sondern ihm die freie Wahl zwischen Wiener Schnitzel, Jägerschnitzel und Zigeunerschnitzel lässt?

Noch schlimmer sieht es auf dem deutschen Strich aus. Da stehen deutsche Frauen in einem ruinösen Wettbewerb mit ausländischen Konkurrentinnen, vor allem aus Osteuropa, die mit Dumping-Angeboten Kunden anlocken. Müsste nicht auch hier eine Quotenregelung zugunsten deutscher Marktteilnehmer eingeführt werden? »Deutsche Männer gehen zu deutschen Nutten!« wäre doch eine hübsche Losung für die nächste verdi-Demo am 1. Mai. Oder »Deutsche, esst deutsche Bananen!« Das hat schon Tucholsky gefordert, und da war der gute Thierse noch nicht auf der Welt.

HMB, 1o.4.2oo4

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