Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

11.04.2004   13:04   +Feedback

Tanz der Friedensengel

Das Letzte

Niemand ist auf den Krieg so sehr angewiesen wie die Friedensbewegung. Letztes Jahr, als es im Irak los ging, gingen in Deutschland Hunderttausende auf die Straße, um für den Frieden zu demonstrieren.

Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)Ostern 2004 (Anklicken zum Vergrößern)

Überall wehten die bunten Pace-Fahnen, Schüler bekamen kriegsfrei und Hausfrauen strickten für den Frieden. Es war das beste, schönste, geilste Osterfest seit langem.

In diesem Jahr ist die Friedensbewegung daheim geblieben. Es gab ein paar Kundgebungen, aber die Teilnehmerzahlen lagen im zwei- bis dreistelligen Bereich. In Berlin, bei der großen Demo auf dem Alexanderplatz, waren mehr Ordner und Polizisten als Friedenskämpfer aufmarschiert. Zuerst spielte eine Schalmeienkapelle, dann sang und tanzte eine Folklore-Truppe aus Ghana, dann hielt eine junge Frau eine Rede, in der sie den US-Imperialismus verurteilte und den sofortigen Abzug aller fremden Truppen aus dem Irak verlangte. Zwei Dutzend Gleichgesinnte klatschen solidarisch Beifall. Am Rande der Kundgebung gab es den bei solchen Festen üblichen Trödelmarkt: Fahnen und T-Shirts, Sticker und Broschüren, frische Falafel und alte Parolen. Das Ganze sah nach einer Peter-Zadek-Inszenierung am Berliner Ensemble aus, bei der aus Kostengründen an den Kulissen gespart werden musste. Gebeugte Gestalten schlurften lemurenartig über den Platz vor dem Neptunbrunnen, die Pace-Fahnen um die Schultern gewickelt. Es fehlte nur, dass Anuschka Renzi nackt und mit einer Pace-Fahne im Arm antrabte. Statt dessen tanzte ein afrikanischer Mitbürger, als Friedensengel verkleidet, für den Frieden, was auch nett anzusehen war.

Schaute man sich die mitgeführten Plakate und Transparente an, musste man unweigerlich zu dem Schluss kommen, bis vor einem Jahr sei im Irak alles in bester Ordnung gewesen. Die Iraker lebten glücklich und zufrieden, gingen ihren täglichen Geschäften nach, genossen die Demokratie und den Wohlstand, bis dann die Amis kamen und alles zerstörten. Und jetzt gilt es, den Status quo ante wieder herzustellen, einen unabhängigen und demokratischen Irak zu etablieren. Ohne eine Intervention fremder Mächte.

Nun hatten die Iraker und die deutsche Friedensbewegung über 2o Jahre Zeit, ihre Vorstellung von einem unabhängigen und demokratischen Irak durchzusetzen. Außer Saddam Hussein stand ihnen nichts und niemand im Wege. Aber sie haben die Gelegenheit verstreichen lassen, erst jetzt, nach Saddams erzwungenem Abgang, wollen sie das Versäumte nachholen.

Natürlich könnte die Friedensbewegung, rein hypothetisch, auch gegen den Terror demonstrieren, der von den sogenannten »Widerstandskämpfern« ausgeht und sich vor allem gegen die Irakis richtet. Oder gegen Morde an Zivilisten und die Schändung von Leichen. Aber das sind ja alles legitime Akte des Widerstandes, begangen aus Verzweiflung über die erlittenen Kränkungen und Demütigungen seit den Tagen der Kreuzritter, später durch Shell, Nike und Coca. Und sieht der Scheich Sadr, der seine Gotteskrieger in den Kampf schickt, nicht ein wenig wie Che Guevara ohne Kopftuch aus?

Jetzt hat die Friedensbewegung wieder ein Jahr Zeit, um sich auf die nächste Demo vorzubereiten. Wenn alles gut geht, wird bis dahin Saddam Hussein wieder im Amt sein, in einem unabhängigen und demokratischen Irak, den sich die Friedensengel so sehr wünschen.

HMB, 11.4.2oo4

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